Über Donar/Thor

Thor (altgerm. Donar, altengl. Thunaer, nord. Schreibung Þórr) ist der Sohn Odins und der Mutter Erde, die in der Edda Jörd, Fjörgyn oder Hlodyn heißt.

Thor (Thunar), in der nord. Mythologie Gott des Donners, dem deutschen Donar entsprechend, war der erste Sohn des Odin und der Jörd (Erde) und genoss unter allen Asen das höchste Ansehen.

Er wird geschildert als ein Wesen von jugendlicher Frische, mit rotem Bart und von ungeheurer Stärke, furchtbar besonders durch drei Kleinode:

  1. den Donnerhammer Miölnir (Mjolnir), der geschleudert sein Ziel nie verfehlte und von selbst zurückkehrte,
  2. den Machtgürtel Megingiard und
  3. die Eisenhandschuhe.

Er lag in steter Fehde mit dem Riesengeschlecht der Joten und Thursen, auch mit der Jormungandr (Midgardschlange). Später erlegte er diese bei der Götterdämmerung, doch wurde er hierbei selbst durch ihren Gifthauch getötet.

Seine Gattin, die Erdgöttin Sif, brachte ihm aus früherer Ehe den schnellen Bogenschützen Uller zu und gebar ihm eine Tochter, Thrud ("Kraft"), während er von der Jotin Jarnsaxa zwei Söhne, Magin ("Stärke") und Modi ("Mut"), besaß.

Sein gewöhnlicher Wohnsitz war Thrudheim ("Land der Stärke"); doch hatte er auch eine Wohnung in Asgard, Namens Thrudwangr. Von ihm hat der Donnerstag (Thorstag) den Namen.

aus Meyers Konversationslexikon, 4. Aufl., 1889

Thors Wagen, den er benutzt wenn er gegen die Riesen ins Feld zieht, wird von den beiden Ziegenböcken Tanngnjostr (nord. Zähnefletscher oder Zähneknisterer) und Tanngrisnir (nord. Zähneknirscher) gezogen.

 Er ist der stärkste und mutigste der Asen und hat die Aufgabe, Götter und Menschen vor allen zerstörerischen und finsteren, lebensfeindlichen Kräften zu beschützen. Er ist von zuverlässigem, geradlinigem Charakter, hilfsbereit für seine Freunde und zornig gegen seine Feinde, die vor allem die Thursen sind, wie diejenigen unter den Urwesen vom Stamm der Jöten genannt werden, die den Göttern feindlich gesinnt sind und Schaden auf der Welt anrichten. Viele Mythen der Edda erzählen von seinen Kämpfen gegen sie. 

Thors Gestalt im Mythos
Thors schützende Kraft zeigt sich in der Natur in der Gewalt von Blitz und Donner. Sein heiliger Baum ist die Eiche, sein Tier der Ziegenbock. Im Mythos fährt er auf seinem Streitwagen, der von zwei Böcken gezogen wird, gegen seine Feinde. Als Gott der sozialen Schutzfunktion (Krieger) beschreiben ihn die Dichter so, wie man sich einen Vikingerkrieger vorstellt: groß, kräftig gebaut und mit dichtem rotem Bart. Er hat funkelnde Augen, die seinen Feinden Angst machen, eine laute Stimme und kann Unmengen essen und trinken.

Thors Waffe und ist ein Hammer, der Mjöllnir heißt und von Alben geschmiedet wurde. Wenn er ihn nach seinen Feinden wirft, kehrt er wie ein Boomerang wieder in seine Hand zurück. Mit seinem Hammer kämpft Thor aber nicht nur, sondern weiht damit auch alles, was schützenswert ist, z.B. die Ehepaare bei der Hochzeit, den Spruch des Richters, das Trankopfer oder die Runen, die man ritzt. Er heißt Véorr, Beschützer, Vingþórr oder Vingnir, Weihender, und Ása-Þórr, weil er zur Asenfamilie gehört.

Thors Wohnort in Asgard heißt Thrudheim (Kraftheim) und seine Halle dort heißt Bilskirnir. Seine Gattin ist Sif (Sippe), seine Söhne sind Magni (Starker) und Modi (Zorniger), seine Tochter Thrudur (Kraft) und sein Ziehsohn der Wintergott Ullr. Auf seinen Fahrten wird Thor von den Bauernkindern Thjálfi und Röskva begleitet, oft auch von Loki, der ihn mit trickreichen Einfällen unterstützt. 

Der Sohn der Erde
Die älteste Darstellung Thors, eine bronzezeitliche Felszeichnung aus Schweden, zeigt ihn als bockshörnigen, zwei Hämmer schwingenden Gott der Fruchtbarkeit oder besser der Männlichkeit. Als Sohn der Erde hat Thor am lebensspendenden Wesen seiner Mutter ebenso Anteil wie am magischen Geist seines Vaters Odin, der sich in der schamanischen Tiermaske zeigt. Der Name seiner Frau Sif und die Verwendung seines Hammers zur Weihe der Ehepaare weisen darauf hin, daß Thor eng mit dem Fortbestand der Sippe verbunden ist. Da seine Naturmanifestation Gewitter und Regen sind, spendet er auch den Feldern und Weiden Wachstum.

Deshalb – und natürlich als Beschützer des Lebens, der Haus und Hof, Familie, Tiere und Felder vor Schaden bewahrt – ist Thor ein Gott der Bauern, die ihn stets ganz besonders verehrten. Vielen steht er persönlich näher als Odin. In der Vikingerzeit galt Odin als Gott der Krieger, Anführer und Dichter, Thor aber als Gott des Volkes. 

Fulltrúi – der vertraute Freund
Einen Gott, dem sich jemand besonders verbunden fühlte, nannte man in der Vikingerzeit fulltrúi, "vertrauter Freund" oder "einer, dem man voll und ganz trauen kann". Diese Funktion erfüllte für die meisten Nordleute Thor. Er war es, an den sie sich in ihren täglichen Sorgen wandten, den sie um Hilfe und Schutz anriefen und dessen Vorbild ihnen die innere Kraft gab, sich wie er gegen die Bedrohungen ihres Daseins zu behaupten.

Diese Vorbildwirkung eines Gottes ist besonders wichtig, denn die Götter wollen als innere Kräfte der Welt und des Menschengeistes nicht wie ferne Mächte angebetet, sondern in uns verwirklicht werden. Es hat daher keinen Sinn, sich einem starken Gott mit schwächlichen Demutsgesten zu nahen. Er würde dich gar nicht zur Kenntnis nehmen bzw. du würdest ihn, wenn er es täte, gar nicht begreifen. Deshalb mußt du der Gottheit, die du anrufst, ähnlich werden, so gut du kannst, um gewissermaßen auf gleicher Wellenlänge überhaupt mit ihr kommunizieren zu können.

Da die meisten Vikinger Thor ähnlich sein wollten, wurden auch viele von ihren Eltern nach Thor genannt, z.B. Thorsteinn, Thorbjörn, Thorvaldur usw. Auch Frauen hatten oft Thorsnamen wie Thorgerdur oder Thordis. Verbreitet war der Brauch, Darstellungen Thors oder sein Symbol, den Hammer, in die Stützbalken der Häuser zu schnitzen. Die Besiedler Islands brachen zumeist ihre alten Häuser ab und nahmen sie in die neue Heimat mit. Sobald ihre Schiffe in auflandige Strömung kamen, warfen sie die Stützbalken mit Thors Bild über Bord. Dann beobachteten sie, wohin die Strömung die Balken trieb, und siedelten sich dort an, "wo Thor an Land gegangen war." 

Der komplexe Geist Thors
Über Thor gibt es eine große Zahl von Mythen, deren gemeinsames Motiv die Fahrten Thors gegen gefährliche Feinde der Götter ist. Oberflächlich gesehen, gleichen sie heroischen Abenteuergeschichten, bei näherem Hinsehen lassen sie aber eine sehr tiefgründige Symbolik erkennen. Im Mythos vom Riesenbaumeister spielt Thor auch eine tragische Rolle von universaler Tragweite. Nicht zuletzt gehört er wie Odin und Tyr zu den verletzten Göttern: Seit seinem Kampf mit Hrungnir steckt ein Stück von dessen Waffe, einem Wetzstein, in Thors Kopf – diese Verletzungen zeigen, daß auch die Götter erst durch Kampf und Mühen, von denen ihnen auch Narben blieben, zu dem wurden, was sie sind.

Aus dem allem wird klar, daß Thor keineswegs eine so einfache, auf rohe Kraft und kämpferische Schutzfunktion beschränkte Gestalt ist, wie ihn manche gern sehen würden. Hinter seinen Kämpfen und Fahrten steht ein komplexer und tiefgründiger Geist, der immer unterwegs ist, forschend und Erfahrung sammelnd, auf der stetigen Suche nach Entwicklung und höherer Entfaltung seines Wesens. Das ist ja der Sinn des Reise-Motivs in den Mythen: die Reise zum Selbst, auf der zahlreiche Gefahren, Umwege und Irrwege lauern.

Es stimmt also nicht, daß Thors Weg weniger geistvoll wäre als der Odins. Er mag beschwerlicher sein, weil Thor durch die Flüsse waten muß, über die Odin auf der Brücke reiten kann. Vielleicht ist er aber eben deshalb auch der sicherere Weg. Man bleibt auf der Erde. 

Die Verehrung Thors
Thor ruft man in allen Dingen an, bei denen man göttlichen Schutz braucht und selbst stark und durchsetzungsfähig sein muß, aber auch als Weihegott, wenn man Runen, Kultplätze, Menschen und Tiere, die Felder oder wichtige Handlungen weihen, d.h. mit göttlicher Kraft laden und vor schädlichen Einflüssen schützen will. Dazu macht man das Hammerzeichen, indem man ein auf dem Kopf stehendes T in die Luft oder über die Dinge zeichnet, die man weihen will. In dieser Form zeigt der Hammer, ebenso wie bei den Thorshämmern, die wir als Amulette und Erkennungszeichen tragen, als Ausdruck der friedlichen Absicht mit dem Eisen nach unten. 

Der Schutzgott des Heidentums
Diese Thorshämmer sind alte Schutzamulette, waren aber schon in der Vikingerzeit, als Gegensymbol zum Christenkreuz, das Erkennungszeichen der Heiden und somit ein Symbol bewußten Heidentums. In dieser Zeit wurden viele Krieger, die Odin verehrt hatten, Gefolgsleute der christlichen Könige und nahmen die fremde Religion ihrer Chefs an. Der Widerstand gegen Zentralherrschaft und Zwangsmission – für die angestammte Religion und ihre demokratische Sippenordnung – ging von den Bauern aus, die Thor verehrten. So wurde die Verehrung Thors von den Königen am brutalsten verfolgt, konnte sich aber dennoch lange behaupten. Es wird auch erzählt, daß Thor dem norwegischen König Olaf auf seinem Schiff erschien und ihn zur Rede stellte. Dann sprang er ins Meer, ohne Rache zu üben.

Diesen schützenden, aber friedfertigen, hilfreichen Gott, der uns mit Kraft und Stärke erfüllt, verehren wir auch als Schutzgott unserer Religion.