Text über die Jagd - ohne Titel

(Copyright 2000 by Kaelyn)


Ich jage. Manchmal packt es mich einfach. Nachts.

Und heute war es wieder da. Ganz plötzlich.

Dieses Gefühl. Es ist, als wäre ich angefüllt mit einem Strom dunkler Energie.

Sie gibt mir Kraft. Ich fühle mich sehr stark. Und ich will sie nähren, diese Energie.

Also jage ich.

Ich verlasse das Haus immer erst, wenn es schon dunkel ist.

Auch ich bin dunkel. Meine Kleidung ist schwarz. Meine Stimme klingt rauchig, fast rau.

Oft schleiche ich hinter meinen Opfern her. Eine halbe Stunde. Eine ganzen. Eineinhalb...

In diesem Fall sind es meist Frauen. Ich genieße es, wie ihre Angst wächst.

Sie wissen, dass ich da bin. Sie spüren mich. Spüren meine dunkle Seele.

Doch sie können mich nicht sehen: Ich bewege mich im Schatten.

-Und sie können mich nicht hören: Meine Schritte verschmelzen mit ihren.

Sie gehen schneller. Dann drehen sie sich um, in immer kürzeren Abständen.

Ihre Augen durchdringen suchend die Nacht. Doch sie sehen nichts. Sehen mich nicht.

Der Moment, wenn die Angst die Barriere der vernünftigen Gedanken durchbricht und von ihrem Körper Besitz ergreift, ist der schönste.

Der Atem wird schneller... Ich höre, wie das Geräusch die Luft durchschneidet. Wie es anschwillt in meinen Ohren zum süßen Klang der Angst...

Ein Rhythmus, ähnlich dem eines Herzens, das schneller schlägt, im Moment des Todes... So als wolle es noch ein letztes Mal aufbegehren gegen die kalte Hand, die nach ihm greift. Bevor es aufhört. Es schlägt nicht langsamer, es hört einfach auf. Mitten im Rhythmus. Es schmerzt mich jedes Mal.

Doch der Atem, er hört nicht einfach auf zu fließen. Er bahnt sich seinen Weg gegen alle Vernunft schneller und immer noch schneller, selbst wenn die Lungen schon schmerzen.

Nein, der Rhythmus des Atems ist unter Einfluss der Angst wie ein anschwellender Strom. Ich könnte mich darin verlieren. Hineingleiten. Mich hingeben, diesem erregenden Gemisch der Gefühle. Ein Seufzer...ein abwartendes Anhalten des Atems...ein scharfes Einsaugen der Luft...

Als diese Töne stören das Gleichgewicht der Atemzüge nicht.. Sie verbinden sich zu einer Melodie aus Angst und Erregung.

Angst und Erregung.

Gleiten auf den lautlosen Schreien einer hilflosen Seele.

Warum Frauen?

Nun, sie sind offen. Sie verbergen nicht die Angst. Sie können es nicht.

Sie klaffen auf, wie eine Wunde. Und die Angst fließt wie warmes Blut direkt zu mir.

Ohne, dass ich fordern muss.

Ohne dass ich gierig danach greifen und verschlingen muss.

Ich kann genießen.

Vielleicht ist es das uralte Prinzip... Die Bestimmung der Frauen...

Diese Frauen nähren mich, weil es in ihrer Natur liegt zu nähren.

Sie können sich nicht verweigern.

Und darum fühle ich mich gleichermaßen befriedigt wie geborgen.

Ich würde ihnen nie etwas tun...

Ich bin dankbar, in gewisser Weise.

Und ich lasse die Wunde, die ich ihnen riss, sich schließen, bevor sie gefährlich wird.

Würde ich das nicht tun, flösse weiter ihre Angst.

Sie würde sie einhüllen. Und sie könnten nicht mehr atmen.

Und das wäre doch schade....

by Kaelyn