Der Platz

(Copyright 2001 by Vampyre BK)

Ich war dem Fluss in die Berge gefolgt, wie ich es an so vielen Abenden vor einer Zeit einmal getan hatte, die mir ewig erschien und dennoch war es, als ob sich nichts hier verändert hätte, die Zeit geht spurlos an manchen Dingen vorbei...

Das Wasser des Flusses unter den Tragflächen der Messerschmitt glänzte silbrig im Licht des Vollmondes und wenn ich durch die geöffnete Haube des Cockpits in den klaren Nachthimmel empor sah, vermeinte ich jeden der leuchtenden Sterne über mir mit den Händen fassen zu können.

Vor der langgezogenen Nase der Maschine tauchten jetzt die beiden Berggipfel auf, die den Eingang des Tales markierten, wohin ich nie mehr zurückkehren wollte. Wie im Traum legte ich den schweren Jäger auf die Seite und folgte der Biegung des Flusses zwischen den Bergen hindurch in das Tal. Ich wusste nicht, ob es richtig war, das zu tun, aber warum wäre ich sonst hierher geflogen...

Ich kannte den Anflug noch so gut...

Über dem kleinen Nadelwald ließ ich die Motoren in Leerlauf gehen und dann verstummen, ich wollte nicht bemerkt werden. Das einzige Geräusch, das mich noch begleitet, war das Pfeifen des Fahrtwindes an den geöffneten Cockpitfenstern, dann sah ich sie im Mondlicht vor mir, die Runway der Bibliothek. In dieser Nacht brauchte ich keine Scheinwerfer und das war mir lieb so... es wäre auffallend gewesen.

Das dumpfe Poltern des Fahrwerks und das schrille Quietschen der Reifen beim Aufsetze auf den harten Beton erschien mir schon zu laut, aber nichts rührte sich. Niemand kam, um dem nächtlichen Geräusch nachzugehen, während die Maschine mit den im Fahrtwind langsam kreisenden Propellern ausrollte und auf dem kleinen Platz zum Stehen kam, wo sie so oft gestanden hatte.

Ich weiß nicht, wie lange ich in dem schon offenen Cockpit gesessen habe und mit dem Zwang kämpfte, die Motoren wieder anzulassen und einfach nur wieder im Nachthimmel zu verschwinden, dann stieg ich auf die Tragfläche und kletterte hinunter auf den kalten Beton. Der Schatten, den die große Maschine im Mondlicht warf, fiel über mich, als ich in die Knie ging und mit den Fingerspitzen über den Boden strich. Die Platten klafften an dieser Stelle etwas auseinander und ein einzelner Grashalm hatte sich zwischen ihnen ans Licht gekämpft. Versonnen sah ich den Halm eine Weile lang, dann riss ich ihn aus.... warum sollte er das Licht sehen?

Ich richtete mich auf und begann mich umzusehen. Der Flugplatz lag verwaist, das Dach des Hangars war in sich zusammengefallen und wildes Strauchwerk überwucherte bereits die Wände und den Vorplatz. Hier war lange niemand mehr gewesen... Ich begann zu zittern und steckte mir hastig eine Zigarette an. Das Tanklager war zwischen dem Buschwerk kaum noch zu erkennen und die wenigen Fässer, die hier noch lagen, rosteten stumm vor sich hin. Als ich näher trat, flüchtete eine Ratte quiekend aus einem der Fässer in die Dunkelheit. Trotz des leichten Treibstoffgeruches, der hier immer noch in der Luft hing und sich mit dem Duft der wilden Gräser vermischte, schien sie sich hier eingenistet zu haben.

Meine Schritte führten mich weiter am Hangar vorbei, meine Absätze klangen so laut auf dem Beton, das ich immer wieder einen besorgten Blick zu den Bäumen hinüberwarf, hinter denen sich der Park der Bibliothek erstreckte, aber nichts rührte sich.

Dann hatte ich das kleine Tor im Zaun erreicht. Fast völlig von Brennesseln überwuchert hing es schief in seinen Angeln und vor mir erstreckte sich der gepflegte Park der Bibliothek. Der laue Nachtwind trug von den hellerleuchteten grossen Fenstern Stimmenfetzen herüber, das Lachen der Anwesenden, Bruchstücke von Musik und Gesang. Ein Lächeln zwang sich auf meine Lippen, als ich die schattenhaften Bewegungen hinter den Scheiben verfolgte und an die Zeit dachte, als ich noch hier gewesen war, bis zu jenem unglückseligen Tag....

Das Lächeln erstarb so schnell, wie es gekommen war, ich drehte mich ruckartig herum und ließ meinen Blick über den verwaisten Platz vor mir schweifen, an dessen Ende das Flugzeug silbrig funkelte, so als wollte es sagen: "Es ist vorbei. Du hast hier nichts mehr verloren. Lass uns gehen...!"

Ich verschloss die Ohren vor den Stimmen und der Musik hinter mir und ging den Weg zurück, den ich gekommen war. Noch während ich ins Cockpit kletterte, ließ ich die beiden gewaltigen Motoren warmlaufen und trieb sie ein paar Mal nach oben. Sie würden das Geräusch nicht wahrnehmen, ich war nicht mehr existent...

Dann rollte ich langsam über den aufgeplatzten Beton, in dessen grauem Stein soviel steckte, zum Ende der Startbahn....

[...]

by Vampire (BK)