Tagebuch eines Vampirs

(Copyright by Ninui)

13.Juli 2002

Ich erwache früh an diesem Abend, die Dämmerung ist noch nicht ganz vorbei, das kann ich spüren. Grummelnd arbeite ich mich aus dem Deckbett hoch und recke mich. Eine sehr menschliche Seite, die ich nicht verloren habe, ist meine Morgen- in diesem Fall Abendmuffligkeit.

Es ist vollkommen dunkel hier unten - und so soll es ja auch sein, sonst würde ich mich schließlich eines Abends als Häufchen Asche wiederfinden - doch ich sehe alles als wäre es Tag und ich kein Vampir.

Der kleine rechteckige Raum, der meine Wohnung darstellt, scheint zu schlafen. Über einem kleinen Stuhl an einem kleinen Tisch hängt ein altmodischer, schwarzer Umhang, den mir mein Erschaffer dagelassen hat. Ich trage ihn sehr gerne, obwohl er natürlich völlig dem Klischee eines Vampirs entspricht. Aber er gibt mir irgendwie ... Sicherheit, nicht dass mein Leben jede Nacht auf dem Spiel stehen würde... 

Ich habe wieder mal in voller Bekleidung geschlafen, da meine letzte Jagd sich bis zum Morgengrauen hingezogen hatte. Ich konnte schon das Kribbeln der ersten Sonnenstrahlen, die die Menschen nicht mal sehen können, auf meiner Haut spüren und es hatte sich zu einem unangenehmen Brennen entwickelt als ich endlich das große, unsaubere Haus erreicht hatte, in dessen Keller ich seit etwa einem Monat tagsüber schlafe.

Es war kein Problem gewesen, den Besitzer des Hauses davon zu überzeugen, mich dort „wohnen“ zu lassen, wie ich ihm erzählte. Nein, nicht wie ihr jetzt denkt! Ich habe ihn nicht getötet! Aber ich habe ihm einen, sagen wir, reichlichen Betrag angeboten. Was ich dafür bekomme ist dieses Zimmer und meine Ruhe. Es versteht sich, das es ihm nicht guttun würde, sich nicht an diese Abmachung zu halten. Aber ich denke nicht, das ihm Gefahr droht, denn das Leuchten in seinen Augen, als er das Geld in der Hand hielt, war eindeutig gewesen.

Jetzt stehe ich hier in der Mitte des kleinen Zimmers. Ich habe es endlich geschafft, aufzustehen. Dabei wird es höchste Zeit, denn mir ist schon zeimlich kalt.

Es ist 10 Uhr. Sommer. Dämmerung inzwischen vorbei.

Im Sommer ist es manchmal kritisch mit der Blutversorgung. Auch wenn man sich in der Nacht vorher regelrecht besäuft, wird alles über den langen Tag hinweg so schnell vom Körper verbraucht, dass man sich in der nächste Nacht fühlt, als hätte man seit zwei Tagen nichts bekommen.

Mit der linken Hand streiche ich über den Umhang. Der Stoff raschelt unter den weißen Fingern, meiner weißen Hand. Dann lege ich ihn mir um. An der Tür hängt ein Spiegel. Gott sei Dank stimmt das Gerücht mit den Spiegeln nicht!! Wir können uns sehr wohl im Spiegel betrachten, und ich denke sogar, dass ich das ziemlich gern tue.

Ich lächle und meine Eckzähne kommen zum Vorschein. Mmhhh, das wird eine schöne Nacht werden. Ich habe irgendwo gehört, dass in der Nähe vom Markt ne Party steigt. Da wird sich sicher was abräumen lassen. Wahrscheinlich werden sie sogar nach Alkohol schmecken.

Ich überlege ob ich den Umhang umbehalten soll, entscheide mich dann aber dagegen. Ich will nicht zu sehr auffallen. Schließlich ist es kein Kostümfest.

Dann öffne ich die Tür, gehe einen kurzen Korridor entlang und trete durch eine zweite Tür nach draußen. Warme Sommernachtluft umfängt mich und ich atme tief ein.. Von weitem kann ich den Beat der Musik hören. Ein Lachen steigt in mir auf, doch ich lasse nur ein Grinsen zu. ‚Macht euch auf was gefasst‘ denke ich und gehe los.

Ich bin etwa eine Querstraße vom Markt entfernt. Durch meine geschärften Sinne kann ich die Musik schon im Magen spüren.

Ein Junge kommt mir entgegen.

„Na, so allein?“, fragt er und lächelt. Er ist relativ klein, grad so groß wie ich, vielleicht kleiner. Blonde kurze Haare, hochgegeelt. Niedlich. Wirklich sehr niedlich. Ich lächle.

Möge die Jagd beginnen