Mittagssonne – „Nur einmal noch...“

(by La Tristesse Noire)

Die Stadt ist voller Menschen, an diesem eigentlich eher unmenschlichen Tag. Es herrscht eine ungemeine Geschäftigkeit in den Straßen. Jeder versucht, die Wege, die er zu erledigen hat so schnell wie möglich zu erledigen, oder wenigstens für ein paar Augenblicke ein schattiges Plätzchen zu finden. So unerträglich heiß ist es und das nun schon den ganzen Monat lang. Auf dem großen Platz vor der gewaltigen Kirche kann man ein recht buntes Treiben beobachten und ein paar wenige Hartgesottene sonnen sich sogar auf den breiten Stufen vor dem Gotteshaus.

In einer kleinen sonnendurchfluteten Seitengasse schwächt der Trubel langsam ab. Hier gibt es nicht viel zu sehen, außer ein paar heruntergekommener Häuser. Eines macht sogar den Anschein, als hatte hier schon seit Jahren niemand mehr gewohnt oder es auch nur betreten. Alle Fenster sind mit Brettern dicht gemacht. Die grau -braune Fassade zeigt schon diverse Risse und Zeitspuren auf und einige eher weniger talentierte Graffiti – Sprayer haben sich auch mittlerweile an ihr ausgelassen. Die Tür ist rostig, alt und gebrechlich, außerdem scheint sie eine beliebte Plakat – anbring – Stelle zu sein. Im Inneren ist es stockduster, nur einige Lichtfetzen fallen durch Lücken zwischen den Brettern der Fenster, einigen Löchern und dem Schlüsselloch der Tür, an die Wände des Eingangsbereiches. Alles ist staubig, dreckig und scheint nur noch ein Lebensraum für Spinnen und anderes Getier zu sein. Hier und da liegen Glasscherben und Papierfetzen neben alten Kartons und ein paar Steinen. Doch beim genaueren Hinsehen erkennt man etwas, was man eventuell als Einrichtung bezeichnen könnte. Ein Pappkarton auf dem ein trübes Weinglas mit Inhalt steht. Rechts davon eine Anhäufung von Zigarettenschachteln und ein völlig übervoller Aschenbecher. Daneben, in einer Ecke, ein alte Decke mit einigen Blutflecken darauf. Und tatsächlich, im tieferen Schatten hockt eine Gestalt, halb liegend, halb sitzend und in seliger Ruhe eine Zigarette rauchend. Blässe, Müdigkeit und eine schlanke aber kräftig erscheinende Natur prägen sein Erscheinungsbild. Er kriecht langsam hervor um an seinem Glas zu nippen. Es ist Lapasis. Er wohnt schon eine geraume Zeit hier, sofern man es wohnen nennen kann. Seine Augen strahlen eine Mischung aus Leere, Unzufriedenheit und dennoch Willenskraft aus und er hat etwas sehr Altes an sich, obwohl man ihn nur auf ungefähre 25 Jahre schätzen könnte. Seinem Gesicht kann man unschwer entnehmen, dass ihn etwas beschäftigt. Er nimmt noch einen Zug seiner Zigarette, als sein Blick plötzlich in Richtung Tür geht. Draußen gehen ein paar Leute vorbei, sie lachen und unterhalten sich als sie an seiner Tagesbehausung vorbei schlendern. Ein leichtes Lächeln bildet sich für eine, fast nicht erwähnenswert, kurze Zeit in seiner Mine, dann wird er wieder ernst, noch ernster als vorher. „Wie lang ist es her?“ Denkt er bei sich. „Wie lang ist es wohl her, dass ich mich des Tags an der hellstrahlenden Sonne erfreute?... unendlich lange her... und es wird nie mehr so sein.“ Man hört von fern, jedoch recht deutlich, die Turmuhr an der Kirche zwölf mal schlagen. Lapasis verfolgt die Schläge und zählt sie mit, aufmerksam und geduldig. „Ich sollte schlafen... die Nacht war Kräfte zährend genug...aber, meine Gedanken lassen mich nicht schlafen...dieser eine Traum hält mich wach.“ Er blickt auf einen der Lichtflecke direkt neben ihm an der Wand. Langsam hebt er seine Hand und bewegt sie in Richtung des einfallenden Lichts, zurückhaltend und noch zögernd aber mit klarem Ziel. „Nur einmal noch... ein einziges Mal noch...möchte ich das Sonnenlicht, es auf meiner Haut spüren.“ Eine Träne läuft ihm über sein Gesicht. Mit einem Mal stoppt er und zieht die Hand wieder zurück. Er lächelt. „Oh ja, das wäre so wundervoll...Einmal nur, zur Mittagszeit wenn sie am strahlendsten ist.“

Langsam steht er auf und mustert die Tür, als wolle er jedes Detail an ihr genauestes betrachten. Dann geht er einige Schritte auf sie zu, hält kurz inne und geht weiter bis er schließlich vor ihr steht. Er drückt die Klinke herunter und lächelt.

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