So hätte es sein können ...

Copyright by Heshthot Sordul

Drei Tage saß ich nun schon mit unseren beiden Katzen alleine zu Hause, weil meine Frau berufsbedingt ein Seminar besuchen musste. Nachdem ich nun sämtliche Vampirvideos durch hatte (und ich habe eine Menge davon) fing ich langsam an, mich zu langweilen. Alle Updates für meine kleine Homepage waren getätigt und zum lesen fehlte mir an diesem Abend einfach die Ruhe. Immer wieder stand ich vom bequemen Sofa auf und wuselte durch die Wohnung. Ich wurde immer unruhiger und hatte nicht den Hauch einer Ahnung, woran das wohl liegen mochte.

Ich musste raus. So viel stand fest. Doch wo sollte man mitten in der Woche abends schon hinfahren? Egal! Hauptsache erst mal raus. Ich wechselte also von der bequemen Jogginghose in die nicht ganz so bequeme schwarze Lederhose, zog mir ein schwarzes T-Shirt über, schlüpfte in die schwarzen Biker-Boots und vollendete meine Garderobe schließlich noch mit dem schwarzen Ledermantel, welchen ich vor einigen Jahren günstig in Italien erworben hatte. Dann noch das Silber an die Finger und ich war ausgehbereit. Allerdings wusste ich immer noch nicht wohin. Kurz überlegte ich, ob ich nicht einen kleinen nächtlichen Trip mit der Harley unternehmen sollte, entschied mich dann aber doch dagegen Denn mir war danach mit Musik durch die Nacht zu fahren und das war auf dem Moped schlecht möglich. So dackelte ich also in die Tiefgarage und schmiss mich in meinen Mazda. Unschlüssig betrachtete ich die CDs, welche neben mir auf dem Beifahrersitz lagen. Lacrimosa, Dead can dance, Bauhaus, ,nen Dark Metal Sampler oder doch lieber Tanz der Vampire? Mist, ich konnte mich noch nicht mal für eine Musikrichtung entscheiden. Keine Ahnung, was zum Teufel mit mir los war. Letztendlich entschied ich mich für die Musical-CD Phantom der Oper und während das Phantom seine Musik der Dunkelheit trällerte, rollte ich langsam aus der Tiefgarage in die Nacht.

Und nun? Nun stand ich an der leeren Kreuzung, das Blinkerrelais raubte mir den letzten Nerv und ich wusste nicht wohin. Links, rechts oder geradeaus? Keine Ahnung. Schließlich fuhr ich geradeaus. (Nicht ohne vorher ordnungsbewusst den Blinker auszuschalten) Irgendwie landete ich schließlich auf dem Parkplatz einer ortsbekannten Disco, bzw. Musikkneipe oder wie immer man den Laden deklarieren möchte und fragte mich: ,,Was zum Geier willst Du hier?~ Nun gut, das Etablissement war sehr dunkel angehaucht, man spielte Independent, Gothic Dark Metal und andere Musik, die man nicht unbedingt jeden Tag in den Charts zu hören bekommt. Allerdings tat man dies in einer Lautstärke, welche meinen nicht mehr ganz so jungen Ohren wenig gefiel. Dies musste ich feststellen, als ich mich, natürlich zusammen mit meiner Gattin, in Ermangelung einer anderen Idee vor einiger Zeit dort mit jemandem traf, den wir via Internet kennen und schätzen gelernt hatten. Und auch wenn der kleine Vorraum des Ladens mit sehr bequemen schwarzen Ledersofas ausgestattet war, vertrieb uns die ohrenbetäubenden Phonstärken der Musik, welche aus dem Hauptraum herüberschallte, sehr schnell von dort. Und nun stand ich wieder vor diesem Laden, schaute mir die in schwarz gekleideten und weiß geschminkten Teenies an, die vor dem Laden standen und sich wild unterhaltend eine Zigarette (oder sonstiges) nach der anderen reinpfiffen und dachte ernsthaft darüber nach, wieder zu fahren. Stattdessen stieg ich aus und schlenderte auf den Eingang zu. Zwar sagte niemand ein Wort, aber die Blicke der Youngsters zeigten mir deutlich, was sie darüber dachten, dass ein Opa, wie ich, in ihre heiligen Hallen eindrang und das Durchschnittsalter dort beim Eintreten drastisch erhöhte. Ich vermied es den großen Raum mit Tanzfläche zu betreten und bog direkt links in den Vorraum mit Theke und Ledersofas ein. Der Raum war leer. Nur an der halbkreisförmigen modernen Theke direkt gegenüber der Eingangstür stand eine Angestellte und trocknete Gläser ab. Als sie mich sah hob sie leicht eine Augenbraue, legte das Abtrockentuch beiseite und schaute mir entgegen. Nun, ich bin glücklich verheiratet, liebe meine Frau über alles und würde nicht mal mit dem Gedanken spielen, dass ich sie jemals mit einer anderen Frau betrügen könnte. Würde allerdings die Möglichkeit eines solchen Gedankens bestehen, spätestens jetzt wäre er mir durch den Kopf geschossen. Die Lady da vor mir war eine Schönheit Das lange dunkelschwarze Haar fiel ihr bis weit auf den Rücken, die Haut war vornehm blass, in ihren wunderschönen braunen Augen konnte man versinken, wenn sie einen anschaute, und der dunkel geschminkte volle Mund war zum Küssen geschaffen. Unter dem langen eng geschnittenen Samtkleid verbarg sich unübersehbar eine göttliche Figur und die ebenfalls dunkel angemalten Fingernägel waren mindestens... - wenn nicht noch länger. Ich war hin und weg! Um nun nicht völlig dämlich rumzustehen, zauberte ich ein leichtes Lächeln auf mein Antlitz und schlenderte langsam auf die Theke zu. Madame lächelte zurück und entblößte die weißesten Zähne, die ich jemals gesehen habe. Tom Cruise wäre vor Neid erblasst, hätte er diese makellosen Beißerchen sehen können. Mein Wort drauf!

Als sie mich dann ansprach, erwartete ich eine ihrem Äußeren entsprechende dunkle rauchige Stimme zu hören. Leider wurde ich in dieser Beziehung ein wenig enttäuscht, da sie eine sehr hohe und leicht piepsige Stimme hatte. (Ungefähr wie Verona Feldbusch) Tja - Nobody is perfect! Auf jeden Fall fragte sie mich, ob sie was für mich tun könnte. Ich grinste breit und antwortete: ,,Aber klar doch..." (Nicht was ihr jetzt denkt) ,,.. .ich hätte gerne ein Glas Kirschsaft!" Während sie sich dienstbeflissen an die Arbeit machte sagte sie: ,,Trinke ich auch sehr gerne, wenn ich noch fahren muss. Schmeckt gut und sieht so schön nach Blut aus - nicht wahr?" Ich wurde hellhörig. Hatte ich da etwa eine Vampirlady vor mir? ,,Stimmt", beeilte ich mich zu entgegnen, ,,Und in der heutigen Zeit wesentlich gesünder, als so manches Tröpfchen Blut!" Zustimmend nickte sie mir zu und es entwickelte sich eine nette Unterhaltung über das Aids-Problem und über Vampirismus im allgemeinen nur unterbrochen von ein paar Kiddies, die sich zwischendurch ,ne Cola oder ein Bier geben ließen. Im Verlaufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass - nennen wir sie einmal -Monique tatsächlich zur Gattung der Vampyre gehörte, zu denen ich mich ja eigentlich auch zählte. Allerdings unberechtigterweise, denn bis auf mein eigenes, hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Blut geschmeckt. Als ich ihr dieses gestand, schaute sie mich eine Weile ruhig an und begann dann damit, Gläser abzuspülen. Und zwar ohne ein weiteres Wort zu sagen. Ich fürchtete schon, dass sie nun enttäuscht von mir wäre und wollte gerade eine diesbezügliche Frage stellen, als sie mich wieder ansah und leise fragte: ,,Und - möchtest Du gerne?"

Nun war es an mir zu überlegen. Ich starrte eine Weile in mein halb leeres (ja - zuweilen bin ich Pessimist) Glas. Aber eigentlich gab es da nicht viel zu überlegen. Und ob ich wollte. Dieses teilte ich Monique dann auch mit und wartete gespannt auf ihre Antwort, denn ich hoffte, dass sie mich zum wahren Vampyr machen würde. Sie trocknete sich die vom Spülwasser nassen Hände ab, bediente noch schnell einen vielleicht gerade mal l7jährigen Burschen, der über und über mit Nietengürteln behangen war und wendete sich dann wieder mir zu. ,,Du hast so viel von Deiner Frau erzählt", sagte sie leise, ,,dass ich annehme, Du bist ihr immer treu gewesen und machst Dir jetzt keine falschen Vorstellungen. Außerdem machst Du einen echt netten Eindruck auf mich. Wenn Du es denn wirklich möchtest helfe ich Dir gerne weiter. Allerdings müsste es bald sein, denn mein neues Semester beginnt bald und nächste Woche bin ich wieder in München. Wenn Du mir sagst wann wir uns treffen sollen, sage ich Dir wo."

Ich schluckte. Sie machte also tatsächlich ernst. Ich musste mich räuspern, bevor ich weitersprechen konnte. (Junge - war ich aufgeregt) ,,Ich weiß nicht, wie wär’s mit morgen Abend irgendwann? Ich richte mich da ganz nach Dir Monique." Sie nickte leicht. ,,Ja, das klappt. So gegen 23.00 Uhr?" Jetzt nickte ich wiederum zustimmend und dann gab sie mir eine Wegbeschreibung zu dem Ort, an dem ich zum Vampyr gemacht werden sollte. Über das Ziel dieser recht langen Wegbeschreibung hüllte sie sich allerdings in Schweigen und sagte nur geheimnisvoll: ,,Lass Dich überraschen. Wenn Du wirklich Der bist für den ich Dich halte, wirst Du wissen, wo Du mich findest, wenn Du dort angekommen bist." Nun muss man wissen, dass ich über einen überaus schlechten Orientierungssinn verfüge und mir diese Wegbeschreibung im Leben nicht hätte merken können, wenn ich nicht sowieso gewusst hätte, wo sie mich hinlotsen wollte. Denn der Weg führte quer durch die große Nachbarstadt über Land zu einem kleinen Städtchen im Bergischen, welches ich sehr gut kannte. Denn ich bin dort aufgewachsen. So wusste ich genau, welcher geheimnisvolle Ort Monique vorschwebte und ich war von der Wahl dieser Stätte insgeheim entzückt. Denn es handelte sich um einen kleinen Friedhof am Rande dieses Städtchens, den ich nur allzu gut kannte. Denn dort hatte ich mich früher immer mit meiner damaligen Freundin in Ermangelung einer anderen Möglichkeit getroffen, um in Ruhe knutschen und fummeln zu können. (Ja - ich war ja auch mal jünger, nicht wahr?!) Dies alles behielt ich allerdings vorerst für mich. Denn Monique hatte auch gesagt, dass es unter Umständen schwierig sein könnte, diesen Ort zu betreten und sie es als kleinen Test meiner Fähigkeiten ansehen würde, zu schauen, ob mir das auf Anhieb gelänge. Nun - wenn sich in den letzten 19 Jahren dort nichts verändert hatte, dann war es kein Problem für mich, diesen kleinen Test zu bestehen. So stimmte ich dem Treffen an diesem, wie Monique meinte, mir völlig fremden Ort zu. Danach wechselte sie das Thema, erzählte ein wenig von ihrem Studium, sie studierte (wie passend) Medizin, und nach einer weiteren Stunde netter Unterhaltung verabschiedete ich mich dann. Sie zwinkerte mir zum Abschied mit dem Auge zu. ,,Bis morgen Nacht dann. Ich warte auf Dich! Wage es nicht, mich zu versetzen!" Grinsend erwiderte ich: ,,Aber niemals würde ich solches wagen!" Dann machte ich mich auf den Weg, denn es war sehr spät geworden und ich musste ja am nächsten Tag noch arbeiten. Allerdings hätte ich ebenso gut noch länger bei Monique bleiben können, denn Schlaf fand ich im verbleibenden Rest der Nacht eh nicht. Immer und immer wieder malte ich mir aus, wie die nächste Nacht wohl verlaufen würde und ich muss gestehen - ich war sehr aufgeregt!

Über den folgenden Arbeitstag lassen wir mal das barmherzige Tuch des Schweigens fallen. Nur so viel - ich bekam rein gar nichts auf die Reihe. Nach Feierabend fuhr ich erst gar nicht heim, sondern machte mich direkt auf den Weg zu jenem kleinen Städtchen, welches 30 Jahre meine Heimat war, schaute noch kurz bei meinen Eltern vorbei, welche dort immer noch wohnen, aß bei ihnen einen Happen und verabschiedete mich so gegen 22 Uhr. Zwanzig Minuten später parkte ich meinen Wagen auf dem großen Platz, der sich direkt gegenüber jenes Friedhofes befand. Auf diesem Platz fanden früher immer die Schützenfeste statt und er wird noch heute, auch wenn mittlerweile mit Wohnhäusern bebaut, immer noch Kirmesplatz genannt. Es war bereits dunkel und ich überquerte die Straße. Natürlich war ich wieder ganz in schwarz gekleidet und so hegte ich die Hoffnung, dass mich niemand sah, als ich den ,,geheimen" Zugang zu diesem Friedhof suchte, welcher durch ein hohes schmiedeeisernes Tor verschlossen war, über welches man unmöglich klettern konnte, um auf den Friedhof zu gelangen. Einen Zaun oder eine Mauer benötigte der Friedhof auch nicht, denn er war von einer hohen undurchdringbaren dichten Hecke umgeben, die seit damals noch höher gewachsen war, obgleich sie so aussah, als würde sie regelmäßig gestutzt. Links von dem Friedhof jedoch steht ein Haus, welches bis fast an die Hecke herangebaut ist. Wenn man sich dort nun zwischen Hauswand und Friedhofsecke durchquetscht, gelangt man zur Rückseite des Friedhof es, welche anders nicht zu erreichen ist, da Wohnhäuser einem den Durchgang verwehren. Und dort hinten steht der Geräteschuppen des Friedhofes, welcher quasi in die Hecke gebaut ist. Da er auf einem Betonfundament steht, reicht die Hecke aber nicht ganz an den hölzernen Schuppen heran und man hat die Möglichkeit sich dort zwischen Hecke und Schuppen hindurchzuzwängen, was meine Freundin und ich damals sehr oft getan hatten, denn hinter dem Schuppen gab es genügend Platz und man konnte dort von niemandem gesehen werden. Und wie früher gelangte ich auch jetzt ungesehen -behelligt auf den eigentlich bereits verschlossenen Friedhof. Es ist schon bewundernswert, wie wenig sich in solchen kleinen Städten im Laufe der Zeit verändert. Der Geräteschuppen lag etwas erhöht und man konnte über den im Dunkeln liegenden Friedhof auf das, durch eine Straßenlaterne beleuchtete Tor sehen, während man vom Tor aus nur in die Dunkelheit schauen konnte. Dieser Umstand hatte uns damals das eine oder andere Mal davor bewahrt vom Friedhofsgärtner erwischt zu werden, weil wir ihn rechtzeitig sehen konnten, er uns aber nicht. So lehnte ich mich an den Schuppen und beobachtete das Tor. Sollte Monique den selben Weg wählen, wie ich, so würde ich sie hören, das wusste ich ebenfalls noch von früher, denn oft stand ich an genau demselben Platz und wartete auf meine Freundin.

Aber das hatte Monique gar nicht nötig, wie ich aufs Äußerste erstaunt feststellen musste. Denn kurz vor elf sah ich sie an das schmiedeeiserne Tor treten. Sie schaute sich um und Augenblicke später öffnete sich das Tor einen Spalt und sie schlüpfte rasch hindurch. Dann schloss sie das Tor wieder, blickte sich nochmals um und verschwand im Schatten der Hecke. Ich hatte keine Ahnung, wie sie an den Schlüssel gekommen ist und habe es auch nie erfahren, aber man kann sich meine Verwunderung sicher gut vorstellen. Wahrscheinlich kannte sie den geheimen Eingang gar nicht und wartete nun darauf, dass ich von außen an das Tor treten würde. Ich musste grinsen, obgleich mir das Herz bis zum Halse schlug. Welch Möglichkeit eines mysteriösen Auftrittes! So verhielt ich mich ruhig und beobachtete den Friedhof. Nach einer Weile konnte ich Monique langsam durch die Grabreihen gehen sehen. Dabei schaute sie sich immer mal wieder suchend um. Als sie in die Nähe des Schuppens kam, verzog ich mich vorsichtig dahinter und wartete einen Moment. Dann lugte ich wieder vorsichtig hervor und konnte sie den Weg hinuntergehen sehen. Nachdem sie sich wohl sicher war, alleine auf dem Friedhof zu sein, setzte sich auf eine kleine Holzbank, auf der auch meine damalige Freundin und ich oft gesessen hatten, und am kurzen flackernden Lichtschein eines Feuerzeuges konnte ich erkennen, dass sie sich eine Zigarette anzündete. Sie setzte sich so, dass sie das Tor im Blickfeld hatte und wartete. Genau der richtige Zeitpunkt für mich, wie ich fand, um in Erscheinung zu treten. Leise verließ ich mein Versteck hinter dem Schuppen und betrag den Weg, welcher getrennt durch eine Grabreihe, parallel zu dem verlief, an welchem die Bank stand, auf der Monique nun saß. Als ich auf einer Höhe mit ihr war überquerte ich zwischen zwei Gräbern die Grasfläche, welche uns noch trennte und stand dann direkt hinter ihr, mich diebisch freuend, dass sie mich anscheinend immer noch nicht bemerkt hatte. So blieb ich also ruhig hinter ihr stehen und bemühte mich keine Geräusche zu machen. Als sie aufgeraucht hatte, holte sie ein kleines Döschen aus ihrer Handtasche, öffnete den Deckel und entsorgte ihre Zigarettenkippe darin, um es dann wieder verschlossen in die Handtasche gleiten zu lassen. ,,Das nenne ich Ordnungsliebe und Rücksichtnahme Monique.", sagte ich leise und erwartete, dass sie vor Schreck zusammenzucken würde. Ein kleiner Schreckensschrei wäre auch nicht schlecht gewesen. Doch ich wurde enttäuscht. Ein kaum wahrnehmbares leichtes Zucken verriet zwar, dass sie sich erschreckt hatte, aber sie hatte sich so vollkommen unter Kontrolle, dass man es ihr kaum anmerken konnte. Ich an ihrer Stelle wäre wahrscheinlich einer akuten Herzattacke zum Opfer gefallen, hätte auf der Stelle weiße Haare bekommen oder vor Schreck den Verstand verloren. Nicht so Monique. Sie holte nur tief Luft, drehte sich halb um und fragte: ,,Stehst Du schon lange da rum?" Ich grinste. ,,Ne halbe Zigarettenlänge vielleicht. Länger nicht."

Dann holte sie aber doch noch mal tief Luft und sagte: ,,Oh Mann, Du hast es vielleicht drauf, Dich von hinten anzuschleichen. Respekt, Respekt...!" Ich zuckte nur mit den Schultern und umrundete die Bank um mich neben sie zu setzen. Dabei gab ich grinsend an: ,,Der eine hat's, der andere nicht. Was soll ich machen?" Sie erwiderte nur: ,,Scherzkeks'." Nach einem kleinen Smalltalk wurde es dann Ernst. Sie holte ein anderes in schwarzen Samt eingeschlagenes Kästchen aus ihrer Handtasche. Darin lagen, in einem speziell für die Gegenstande ausgeschnittenem Styroporeinsatz ein eingeschweißtes Skalpell mit Plastikgriff, ein Fläschchen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit und ein Päckchen Heftpflaster. ,,Willst Du mir jetzt den Blindarm entfernen?", versuchte ich zu scherzen. ,,Nein, das nun nicht unbedingt", erwiderte sie lächelnd, ,,Wart es ab:" Jenen Moment, den ich so herbeigesehnt hatte und vor dem ich dennoch ein wenig Angst hatte, werde ich jetzt und hier, aus Respekt vor diesem ,,intimen" Zeremoniell, nicht im Detail beschreiben, denn das geht nur Monique und mich an. Nur so viel:

Ihr Blut, welches sie mir schenkte war roter als der Kirschsaft, den sie mir verkauft hatte, schmeckte aber nicht so süß. Und doch würde ich diesen würzigen, leicht kupfrigen Geschmack gegen keinen Kirschsaft der Welt eintauschen wollen, wenn ich die Wahl hätte. Und auch der kleine Schnitt, welchen sie mir beibrachte, um von meinem Blut zu kosten, brannte zwar ein wenig, doch als ich ihre Lippen auf meinem Hals spürte und ihre Zunge mein Blut leckte, hätte ich jauchzen können vor Wonne. Doch wie jeder schöne Augenblick im Leben, ging auch dieser viel zu schnell vorbei und eine halbe Stunde später saßen wir in einem kleinen Nachtcafe und tranken einen Kaffee. Ein kleines Pflaster zierte ihren Unterarm, während ich eines seitlich am Hals trug, so als hätte ich mich beim Rasieren geschnitten. Als ich mich bei Ihr bedankte, winkte sie mit den Worten ab: ,,Du warst auch vorher schon ein Vampyr, das habe ich gespürt. Doch jetzt hast Du auch die Freuden des Vampyr-Seins in ihrer letzten Konsequenz erlebt. Und mir selber war's doch auch ein Vergnügen!" Danach redeten wir über andere Dinge, wie ihr Studium und mein Motorrad, bis wir dann aufbrachen. Sinnigerweise war es kurz vor Sonnenaufgang, als wir uns mit einem Kuss auf die Wange voneinander verabschiedeten. Ich habe Monique bis heute nicht wiedergesehen, noch von Ihr gehört, doch denke ich oft an jene Nacht auf dem Friedhof zurück und manchmal sehne ich mich danach, ihre weichen Lippen auf meinem Hals zu spüren und ihr Blut auf meiner Zunge zu schmecken und bedanke mich in Gedanken bei Ihr, dass sie mir mit ihrem Blut diese Erfahrung geschenkt hat.

(An "Monique": Liebe T. - Du siehst, ich habe nun unsere kleine Geschichte doch erzählt. Doch ich denke, Du verzeihst mir das, denn ich nannte keine Ortsnamen und habe auch Deinen wahren Namen nicht preisgegeben, so dass Deine Anonymität auch fürderhin gewahrt bleibt. Und zumindest weißt Du nun endlich, wie ich damals auf dem Friedhof so geheimnisvoll hinter Dir auftauchen konnte. Doch wenn Du dies hier irgendwann mal lesen solltest, würde ich mich über eine Antwort auf folgende Frage auf das äußerste freuen: Woher zum Teufel hattest Du den Schlüssel zum Friedhofstor?)