Bruster

(Copyright 1999 by Heshthot Sordul)

Die Mittagssonne brannte erbarmungslos auf den einsamen Reiter nieder, der scheinbar kraftlos auf dem Sattel zusammengekauert saß. Seine Augen lagen tief im Schatten des breitkrempigen Stetsons, welchen er tief in das sonnengegerbte markante Gesicht geschoben hatte. Obwohl es so aussah, als würde der Reiter jeden Moment schlafend vom Gaul fallen, entging nichts seinem scharfen, geschulten Blick. Die Hufe seines Apaloosas wirbelten bei jedem Schritt kleine Staubwolken auf und hinterließen eine deutliche Fährte auf dem verbrannten ausgedörrten Boden. Doch das war dem Reiter egal, denn er wurde ja nicht verfolgt. Im Gegenteil - er war der Jäger und die Hufspur, welcher er folgte sah immer frischer aus. Ein kaltes Lächeln zerfurchte sein narbiges Gesicht, als er am Horizont die in der Hitze wabernde Silhouette des kleinen Waldes erspähte, zu dem die Spur, der er folgte, offen­sichtlich führte.

Schon viel zu lange jagte er hinter dem her, den er in diesem Wald wähnte.

Und wirklich - er war nur noch einige Meilen von dem kleinen Wald entfernt, als er den weißen Rauch eines Lagerfeuers kerzen­gerade in den blauen Himmel steigen sah. Er zügelte sein Pferd und betrachtete die Rauchsäule eine Weile, dann knarrte leise das Sattelleder, als er sich geschmeidig aus dem Sattel schwang. Mit leisem Sporenklirren versanken die hochhackigen Stiefel des Jägers bis zu den Knöcheln im Staub. Mit einer tausendmal ge­übten fließenden Bewegung, zog der große Mann seine brünnierte Winchester aus dem vor Lederfett glänzenden Scabbard. Ein kurzer Ruck am Ladehebel und die Winchester war durchgeladen. Zwei kurze Handgriffe und er hatte den korrekten Sitz des Bowie-Knifes und des großkalibrigen Colt Dragoons, der in einem abgegriffenen Holster tief an seiner Hüfte hing, überprüft. Er liebte diesen Revolver, obwohl er in der Handhabung doch komplizierter war, als die neuen Frontier-Modelle von Colt, handelte es sich doch um einen Sixshoot-Vorderlader. Aber erstens war dies das einzige, was ihm sein Dad vererbt hatte und zweitens gab es keine Handfeuerwaffe die eine solche Durchschlagkraft hatte und mit der man auch getrost kräftig zuschlagen konnte, ohne die Mechanik des Revolvers zu beschädigen. Gemächlich schnallte er sich die großen sternförmigen Sporen ab, um sich nicht durch das helle metallene Klirren zu verraten, dann hobbelte er den Apaloosa an und schlenderte langsam mit dem wiegenden Gang eines Mannes, der sich im Sattel zu Hause fühlte, auf den Wald zu.

Die mittlerweile rot glühende Sonne befand sich im Rücken des Mannes und so war ihm sein Schatten immer einen Schritt voraus. Am Waldessaum angelangt, ließ er den Blick nach rechts und links schweifen. Schnell hatte er die Stelle gefunden, an der jener andere in den Wald geritten war.

Der Mann schob den schweißgetränkten Stetson in den Nacken. Sein aschblondes Haar klebte verschwitzt in der Stirn, während diese sich verwundert in Falten legte. Konnte es denn sein, daß der Desperado, den er verfolgte, so unvorsichtig war, obwohl er doch wissen mußte, daß er ihm dicht auf den Fersen war?! Nein - für so dumm hielt er den verdammten Mörder nicht. Der Blonde ging in die Hocke und sein Blick wurde für einen Moment leer, als er an jenen Tag vor nunmehr fast einem halben Jahr zu­rückdachte, an welchem sein Leben mit brutaler Gewalt aus den Angeln gehoben wurde. Eine Träne zog ihre nasse Spur durch sein staubiges Gesicht, als er an die letzten Worte seiner geliebten Frau dachte, die in seinen Armen starb.

Ihr Name war „Die den Wind kennt“ und sie war vom Stamme der Navajos. Er hatte sie geliebt, wie sonst nichts auf der Welt und ihre Liebe zu ihm war so groß, daß sie ihren Stamm verließ, um mit ihm zu reiten. Sie fragte nicht wohin, sie sah ihn nur an, nickte und packte ihre paar Habseligkeiten auf ihren Apaloosahengst, welcher nun ihn trug.

Er hatte ein wenig Land in New Mexiko erworben und wollte dort eine kleine Pferdezucht aufbauen.

Alles ging gut. Sie bauten eine kleine aber gemütliche Hütte und begannen mit ihrer Zucht. Anfangs war es hart aber mit der Zeit stellten sich die ersten Erfolge ein und als „Die den Wind kennt“ ihm in ihrer unnachahmlichen Art zu verstehen gab, daß sie ein Kind von ihm erwarte, konnte er sein Glück nicht fassen. Dann kam dieser grauenhafte Tag.

Er war unterwegs, um ein paar verirrte Füllen zu suchen, als er den schwarzen Qualm am Horizont erblickte und er wußte, daß dies sein Haus war, welches dort brannte. Noch nie in seinem Leben hetzte er ein Pferd so, wie an jenem Tag.

Doch er kam zu spät.

Als er seine kleine Ranch erreichte, stand diese bereits nicht mehr. In den rauchenden Trümmern fand er dann seine Frau. Beii dem Gedanken an diesen Augenblick, entrang sich ein würgendes Schluchzen seiner Kehle.

Er konnte nur erahnen, was man ihr angetan hatte und ihr Anblick verfolgte ihn noch heute in seinen Träumen. Ihre einzigen Worte waren noch: „Mein geliebter...., den einen nannten sie Georgie... der andere Woodrow.. .räche unser Kind... ich liebe...“, dann starb sie.

Jenen Georgie erwischte er in einem kleinen Nest in Texas, nahe des Rio Bravos und wie es schien, lag nun jener andere namens Woodrow in diesem Wald.

Aber irgend etwas stimmte nicht. Woodrow mußte wissen, daß er ihm auf den Fersen war. Wieso benahm er sich dann wie ein Greenhorn und hinterließ eine Fährte, wie eine Herde wilder Mustangs? Nachdenklich fiel sein Blick auf seine Winchester, die er über den Oberschenkeln liegen hatte. Am Kolben reflektierte ein kleines Messingschild das verlöschende Licht der untergehenden Sonne.

Auf diesem Schild waren die initialen JB eingraviert. JB für Jonathan Bruster. Das Gewehr hatte er bei einem Schießwett­bewerb in Sweet Water gewonnen und dieses Schildchen mit seinen Initialen war daraufhin am Schulterstück angebracht worden. Wie stolz war er damals ob dieser Trophäe gewesen und wie wenig bedeutete ihm das jetzt alles.

Ein Blick nach hinten zeigte ihm, daß der rote Feuerball fast den Rand des Horizonts erreicht hatte. Irgendwo dort draußen begrüßte ein Kojote heulend die kommende Nacht.

Bruster löste die Sicherungsschlaufe vom Hahn seines Colts und ging dann in gebückter Haltung, alle Sinne aufs Äußerste ge­spannt, parallel zu Woodrows Fährte, langsam in das Wäldchen.

Er wollte es jetzt hinter sich bringen - so oder so.

Ohne ,Die den Wind kennt' war ihm sein Leben keinen Priem mehr wert und seine Pferderanch war eh zum Teufel. Das einzige, was ihm geblieben war, trug er bei sich, bzw. hatte es in den Satteltaschen des Apaloosahengstes. Nur die Gedanken an Rache gaben seinem Leben noch einen Sinn.

Nach einigen Wegminuten konnte er den Schein des Lagerfeuers durch die tief hängenden Äste der Bäume sehen.

Bruster umfaßte die Winchester mit hartem Griff. Seine Lippen waren nur noch ein messerscharfer Strich in seinem Gesicht und die Augen hatte er zusammengekniffen.

Jetzt war er am Ziel. Er konnte die zusammengekauerte Gestalt des Killers am Lagerfeuer liegen sehen. Jetzt endlich, nach so vielen Monaten würde er Rache nehmen können.

Er lehnte sich mit der linken Schulter an den Baum und hob das Gewehr. Er visierte den am Feuer liegenden Mörder an. Zwar lag er in den zuckenden Schatten des Lagerfeuers, bot aber trotzdem ein gutes Ziel.

Dann krachte der Schuß!

Brusters rechtes Bein wurde nach hinten gerissen und die Winchester entglitt seinen Händen. Er wurde durch die Wucht der heißen Bleikugel, welche in sein Bein eingeschlagen war, um die rechte Achse gerissen und krachte auf den Boden. Instinktiv rollte er sich zur Seite, um kein festes Ziel zu bieten und wirklich schlug eine Kugel dort ein, wo er noch einen Augenblick vorher gelegen hatte.

,,Bloody Hell", schoß es ihm durch den Kopf. Wer war denn jetzt das blutige Greenhorn?

Obwohl er damit gerechnet hatte, war er blindlings in die Falle getappt, die Woodrow ihm gestellt hatte. Wahrscheinlich handelte es sich bei der Gestalt am Lagerfeuer nur um eine zusammengerollte Decke. Er wußte nicht, wie oft er selber diesen Trick angewandt hatte, wenn er im Indianerland Mustangs jagte und jetzt war er selber auf diesen uralten Westmann-Trick hereingefallen. Woodrow mußte irgendwo jenseits des Feuers stehen und er selber bot wahrscheinlich ein prima Ziel. Sein Bein begann zu pochen und ein Blick nach unten zeigte ihm, daß aus einer Schußwunde im Oberschenkel hellrotes Blut hervorsprudelte. Bruster wußte, was das bedeutete. Die Kugel mußte die Schlagader zerfetzt haben. Er zerquetschte einen Fluch zwischen den Lippen und knotete mit fahrigen Bewegungen sein verstaubtes Bandana vom Hals, um damit sein Bein abzubinden. Kaum war ihm dies gelungen, krachte ein weiterer Schuß durch den Wald. Bruster, der an einem Baum gelehnt am Boden saß und das Bandana so fest wie nur irgend möglich in der Leistengegend um sein Bein gebunden hatte, wurde abermals zu Boden geworfen. Dieses mal riß eine Kugel ein Stück Fleisch aus seiner Schulter. Der Killer mußte sich um ihn herum geschlichen haben.

Ein weiterer Schuß, der ihn aber verfehlte. Das heiße Blei brummte wie eine zornige Hornisse dicht an seinem Kopf vorbei. Aber jetzt hatte er das orange Mündungsfeuer gesehen.

Er nahm den Colt in die gefühllose linke Hand und schob sich am Baum empor, bis er stand. Trotz Bandana lief ihm Blut warm das Bein hinunter. Er wußte, er hatte nicht mehr viel Zeit, denn auch die Fleischwunde an der Schulter blutete stark.

Dann hörte er die hohe Fistelstimme Woodrows.

,,Na Hombre, das hast du dir anders gedacht. Bin aber nicht so meschugge, wie der arme Tropf, dem du in Texas das Licht aus­geblasen hast. So wie Du aussiehst, machst Du es nicht mehr lange mein Freund. Aber ich schätze, ich beende es jetzt sofort!" Mit diesen Worten trat die schmale Gestalt des Killers aus dem Schatten der Bäume, hinter denen er sich an Bruster herangeschlichen hatte. Fast hätte Bruster lachen müssen, so lächerlich wirkte Woodrow auf ihn. Er trug nur seinen verschlissenen, von zu scharfen Waschmitteln rosa gebleichten Long-John. In den Händen hielt er ein Sharp Hinterlader-Gewehr, dessen Mündung noch nach unten zielte.

,,All right Kanaille, schätze Du hast mich an den Eiern". Brusters Stimme klang rauh vor Schmerz und Anstrengung. Er wußte, daß der verfluchte Mörder dort vor ihm erkannt hatte, daß es ihm unmöglich war, den schweren Kavallerie-Revolver, den er in der von dem Schulterschuß tauben linken Hand hielt, nicht zum Schuß hochbringen konnte, sonst hätte er sich nicht aus seiner Deckung gewagt. ,,Well, ich denke, ich kann mir die Kugel sparen du Held. Yeah - ich werde einfach hier stehenbleiben und mir anschauen, wie du langsam verblutest und schlußendlich verreckst. Das wird mir ein Vergnügen sein“.

Bruster wurde es langsam schwindelig. Lange könnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten, das war ihm klar. Aber er wollte nicht sterben, ohne wenigstens zu versuchen, Woodrow mit zu nehmen. Langsam glitt ihm der abgegriffene Revolverknauf aus der blutverschmierten Hand und fiel schwer neben seinen staubigen Stiefeln auf den trockenen Waldboden. Dann verschwamm Woodrows Rattenge­sicht vor seinen Augen. Langsam knickten ihm die Beine weg und er ging in die Knie. Dann fiel er auf die linke Seite und lag regungslos am Boden. Woodrow grinste hämisch. Also war er auch diesmal wieder davon gekommen. Er ging langsam auf die leblos am Boden liegende Gestalt zu. „So großer Mann, jetzt bist Du nicht mehr so stark, oder?“ Mit dem Fußrücken drehte er Brusters Körper auf den Rücken. Zumindestens versuchte er es. Denn als er den Oberkörper nach oben drückte, wirbelte der vermeintlich Tote herum, griff in einer fließenden Bewegung den auf dem Boden liegenden Colt und mit einem hellen Knacken wurde der Hahn nach hinten gezogen. Noch bevor Woodrow sich von seinem anfänglichen Schrecken erholen konnte, krümmte sich der Abzugsfinger des grossen Mannes. Mit einem scharfen Fauchen fand das Blei sein Ziel. Dumpf klatschend durchschlug die Kugel Woodrows Stirn, zerfetzte sein Großhirn und trat berstend aus der Schädeldecke wieder aus, wobei Blut und dunkle Gehirnmasse eine schaurige Fontäne bildeten. Woodrows Kopf wurde nach hinten geschleudert und der Desperado war bereits tot, als sein ausgemergelter Körper den Boden be­rührte. Woodrow hatte den Schuß, der ihn tötete nicht einmal gehört. Keuchend ließ Bruster den Revolver fallen. Jetzt hatte er es geschafft. Nun konnte er in Ruhe sterben und sich anderswo mit ,Die den Wind kennt' treffen. Nichts gab es mehr für ihn zu tun. Er robbte schmerzerfüllt zu dem Baum, an welchem er gelehnt hatte, um sich daran zu lehnen. Er wollte nicht mit dem Gesicht im Dreck sterben, als ihn ein Gedanke, wie ein Blitz traf. By Jove - er hatte noch nicht alles erledigt, es gab durchaus noch etwas zu tun. Schweißüberströmt zog er sich unter Aufbietung seiner letzten Kräfte am Stamm des Baumes hoch. Als er endlich stand, drehte sich alles um ihn, aber er riß sich zusammen - oh ja - er war ein harter Mann. Dann humpelte er auf den Waldrand zu. Als er diesen erreichte und keinen Halt an den Bäumen mehr fand, fiel er zu Boden. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und nur der helle Mond spendete noch Licht. Bruster kroch weiter. Meter für Meter - er wußte nicht wie lange es dauerte, bis er sein Ziel endlich erreicht hatte. Mit zittriger Hand, zog er sein scharfes Bowie-Knife aus der Lederscheide, aber es entglitt ihm und fiel zu Boden. Kaum konnte Bruster noch den Kopf heben. Alles verschwamm und ein seltsames leeres Gefühl machte sich vom Hinterkopf ausgehend in seinem gesamten Körper breit. Er hustete und spie den nach Kupfer schmeckenden Schleim aus.

Mit einer letzten Willensanstrengung griff er nach dem Messer und unter Aufbietung seiner letzten Lebensenergie, gelang es ihm noch den Strick, mit dem er die Vorderläufe seines Apaloosas zusammengebunden hatte, damit dieser nicht das Weite suchte, durchzuschneiden. Dann lag er still in der Prairie und lauschte dem lieblichen Gesang, welcher von weit her zu ihm drang. Er erkannte die Stimme und als er vor ihr stand, sah er, daß sie schön wie eh und je war. Als er sie küßte, war sein Körper dort unten schon lange kalt und leblos.

Der Hengst blieb die ganze Nacht bei seiner Leiche und stupste seinen Körper ab und zu an.

Als sich jedoch der Horizont leicht rosa färbte und die Kälte der Nacht einem weiteren heißen Tag weichen mußte, stieg der Hengst mit den Vorderhufen hoch, wieherte laut und galoppierte zurück in die Freiheit.

* THE END OF THE TRAIL*