Der
Vampyr
von
John William Polidori
(Übersetzung
von 1839 aus der Anthologie von Werken Lord Byrons Byron, Sämtl.
Werke. Stuttg. 1839 und Leipzig 1874)
(zum
englischen Original)
Es ereignete sich, daß, mitten unter den Zerstreuungen
eines Winters zu London, in den verschiedenen Gesellschaften
der tonangebenden Vornehmen ein Edelmann erschien, der sich
mehr durch seine Sonderbarkeiten, als durch seinen Rang
auszeichnete. Er blickte auf die laute Fröhlichkeit um ihn
her mit einer Miene, als könne er nicht an derselben
teilnehmen. Nur das leichte Lachen der Schönen schien seine
Aufmerksamkeit zu erregen, allein, es schien auch, als wenn
ein Blick aus seinem Auge es plötzlich hemme und Furcht in
die vorher heitere und unbefangene Brust der Fröhlichen
streue. Diejenigen, welche diesen Schauder empfanden, konnten
nicht angeben, woher er entstehe; einige schrieben ihn dem
fast seelenlosen grauen Auge zu, das, wenn es sich auf das
Auge des andern richtete, obschon an sich nichts Eindringendes
zu haben, doch oft mit einem Blick das innerste Herz zu
durchbohren schien, und richtete es sich auf die Wange, so
schien der Strahl wie Blei auf der Haut zu lasten, ohne sie
durchdringen zu können. Seiner Sonderbarkeit wegen wurde er
in jedes Haus eingeladen; alle wünschten ihn zu sehen, und
diejenigen, welche an lebhafte Aufregung gewohnt waren und nun
die Last der Langeweile fühlten, freuten sich, ein Wesen um
sich zu sehen, welches ihre Aufmerksamkeit zu fesseln
vermochte. Trotz der totenbleichen Farbe seines Gesichts, das
weder von dem Erröten der Scham, noch dem Aufwallen der
Leidenschaft jemals ein wärmeres Kolorit bekam, obgleich die
Form und Umrisse desselben sehr schön waren, versuchten es
doch einige weibliche Glücksjäger, seine Aufmerksamkeit auf
sich zu ziehen, um wenigstens einige Beweise von dem zu
erhalten, was sie Zuneigung nennen mochten; Lady Mercer,
welche seit ihrer Verheiratung der Gegenstand des Spottes
jeder Häßlichen in der Gesellschaft gewesen war, stellte
sich ihm in den Weg und suchte auf alle Weise, selbst durch
den auffallendsten Anzug, seine Aufmerksamkeit zu reizen.
Allein umsonst - wenn sie vor ihm stand, und seine Augen dem
Anscheine nach auf die ihrigen gerichtet waren, schien es doch
immer, als würde sie nicht bemerkt. Selbst ihre freche
Unverschämtheit wurde endlich verwirrt, und sie verließ das
Feld. Allein obgleich eine so bekannte freie Dame nicht einmal
die Richtung seiner Augen bestimmen konnte, schien das
weibliche Geschlecht selbst ihm doch keineswegs gleichgültig
zu sein, indessen war die anscheinende Vorsicht mit der er ein
tugendhaftes Weib, ein unschuldiges Mädchen anredete, so groß,
daß sich nur wenige überhaupt dessen rühmen konnten. Er
behauptete jedoch den Ruf eines einnehmenden Sprechers, und
sei es nun, daß dies selbst die Furcht vor seine seltsamen
Charakter überwand, oder daß man sich von seinem
anscheinenden Hasse gegen das Laster rühren ließ, genug, er
befand sich ebenso oft unter solchen Frauen, welche den Glanz
ihres Geschlechts in häuslichen Tugenden suchen, als unter
solchen, die ihn durch ihre Laster beflecken.
Um diese Zeit kam ein junger Edelmann, namens Aubrey, nach
London. Er war verwaist. Seine Eltern, die er schon in früher
Kindheit verlor, hatten ihm und seiner einzigen Schwester ein
sehr großes Vermögen hinterlassen. Die Vormünder nahmen
sich mehr der Verwaltung seines Vermögens, als der Sorge für
seine Erziehung an, und so blieb diese in den Händen von
Mietlingen, welche mehr seine Phantasie, als seinen Verstand
zu bilden suchten. Er besaß daher jenes hohe romantische Gefühl
für Ehre und Aufrichtigkeit, welches täglich so viel hundert
junge Leute zu Grunde richtet. Er glaubte, alle Menschen müßten
die Tugend lieben, und dachte, das Laster sei von der
Vorsehung bloß des szenischen Effektes wegen in das Weltdrama
eingewebt worden; er dachte, das Elend in den Hütten bestehe
bloß in der Kleidung, die aber doch warm sei und dem Auge des
Malers durch den unregelmäßigen Faltenwurf, die bunten
Flecke darauf besser zusage. Mit einem Worte, er hielt die Träume
der Dichter für die Wirklichkeiten des Lebens. Er war hübsch,
frei und reich; drei Ursachen, warum ihn beim Eintritt in die
heitern Zirkel der Welt viele Mütter umringten und alles
versuchten, was ihre schmachtenden oder wilden Lieblinge mit
den lebhaftesten Farben auszustatten vermochte, indes die Töchter
durch ihr glänzendes Benehmen, wenn er sich ihnen näherte,
und durch ihre blitzenden Augen, wenn er die Lippen öffnete,
ihn zu falschen Vorstellungen verleiteten. Seiner romantischen
Einsamkeit ganz hingegeben, staunte er nicht wenig, als er
fand, daß, die Talg- oder Wachslichter ausgenommen, welche
nicht vor der Gegenwart eines Geistes, sondern aus Mangel an
Lichtputzen flatterten, in dem wirklichen Leben durchaus kein
Grund zu Anhäufung jener lachenden Gemälde und
Beschreibungen vorhanden sei, wie sie sich in den Büchern
fanden, die er zum Gegenstand seines Studiums gemacht hatte.
Da er indessen einige Vergütung in seiner geschmeichelten
Eitelkeit fand, war er im Begriff, seine Träume aufzugeben,
als das außerordentliche Wesen, welches wir oben beschrieben
haben, ihm in den Weg trat.
Er beobachtete ihn, und die völlige Unmöglichkeit, sich
einen Begriff von dem Charakter eines Mannes zu bilden, der,
bloß in sich selbst versunken, wenig andere Zeichen seiner
Beachtung äußerer Gegenstände von sich gab als die
stillschweigende Anerkennung ihres Daseins, vollendete die
Vermeidung gegenseitiger Berührung. Da Aubrey seiner
Phantasie gestattete, jedes Ding, das seiner Neigung zu
seltsamen und ausschweifenden Ideen schmeichelte, sorgfältig
auszumalen, so hatte er auch schon dieses Wesen zum Helden
eines Romans umgebildet und betrachtete nunmehr den Sprößling
seiner Phantasie als die einzige lebende Person außer ihm. Er
wurde bekannt mit ihm, bewies ihm Aufmerksamkeiten und
gelangte doch so weit bei ihm, daß er seine Gegenwart
anerkannte. Er erfuhr nach und nach, daß Lord Ruthvens
Angelegenheiten zerrüttet seien, und daß er im Begriff
stehe, eine Reise zu unternehmen. Voll Verlangen, über diesen
seltsamen Charakter, der bis jetzt seine Neugier nichts
weniger als befriedigt hatte, genauere Forschungen
anzustellen, äußerte er seinen Vormündern, daß es nun Zeit
für ihn sein möchte, die Tour zu machen, die man seit
Jahrhunderten für nötig gehalten hat, um den Jüngling in
den Stand zu setzen, einige rasche Fortschritte auf der Bahn
des Lasters zu machen und so die älteren einzuholen, damit er
nicht wie aus den Wolken gefallen scheine, wenn man empörende
Intrigen als Gegenstände des Spottes oder Lobes behandelt, je
nachdem dabei mehr oder weniger Geschicklichkeit aufgewendet
worden ist. Sie stimmten in sein Begehren. Aubrey gab dem Lord
Ruthven seine Absicht zu erkennen und erstaunte nicht wenig,
von ihm den Antrag zu erhalten, die Reise gemeinschaftlich zu
machen. Geschmeichelt durch solch ein Zeichen der Achtung von
dem, der dem Anscheine nach mit andern Menschen nichts gemein
hatte, nahm er ihn freudig an, und in wenigen Tagen hatten sie
das trennende Meer überschritten.
Bisher hatte Aubrey keine Gelegenheit gehabt, Lord
Ruthvens Charakter zu studieren, und nun fand er, daß, da er
mehrere seiner Handlungen beobachten konnte, die Resultate
verschiedene Schlüsse auf die scheinbaren Beweggründe seines
Betragens darboten. Sein Gefährte war verschwenderisch
freigiebig - der Faule, der Landstreicher, der Bettler erhielt
aus seinen Händen mehr als genug, um den augenblicklichen
Mangel zu stillen. Der tugendhafte, unverschuldete Arme
hingegen ging oft unbefriedigt von seiner Türe, wurde wohl
gar mit höhnischem Lachen abgewiesen. Der Lüstling, der sich
immer tiefer in den Schlamm seiner Ausschweifungen versenken
wollte, konnte auf seine Unterstützung rechnen. Ein Umstand
war indes bei den Geschenken des Lords seinem Gefährten
bemerklich geworden; es ruhte offenbar ein Fluch auf ihnen,
denn die Empfänger waren entweder dadurch auf das Schafott
gebracht worden oder in das tiefste, verachtenswerteste Elend
versunken. In Brüssel und anderen großen Städten hatte der
Lord zu Aubreys Verwunderung die Zirkel der großen Welt
aufgesucht. Er spielte und wettete, ersteres stets mit Glück,
außer wenn ein bekannter Gauner sein Gegner war, dann verlor
er mehr als er gewonnen hatte; allein sein Gesicht behielt
dieselbe Unveränderlichkeit, womit er gemeiniglich die
Gesellschaft umher beobachtete. Wenn er aber einem raschen,
unbesonnenen Jünglinge begegnete, oder dem unglücklichen
Vater einer zahlreichen Familie, dann schien sein Wunsch
Fortunas Gesetz zu werden, die anscheinende Abstraktheit
seines Gemüts verschwand, und seine Augen glänzten wie die
der Katze, wenn sie mit der halbtoten Maus spielt. Indessen
nahm er keinen Groschen vom Spieltische mit, sondern
verspielte zum Ruin manches andern die letzte Münze, die er
eben aus der Hand der Verzweiflung gewonnen hatte; dieses
mochte das Resultat eines gewissen Grades von Einsicht sein,
die jedoch nicht imstande war, die schlauere Erfahrung zu täuschen.
Aubrey wünschte oft seinem Freunde dies vorzustellen und ihn
zu bitten, einer Freigebigkeit und einem Vergnügen zu
entsagen, welches alle Menschen unglücklich mache und ihm
keinen Vorteil gewähre, allein er verschob es immer, in der
Hoffnung, eine recht passende Gelegenheit dazu zu erhalten,
welche sich nie zeigte. Lord Ruthven war in seiner Laufbahn
und mitten unter den mannigfachen, bald wilden, bald lachenden
Naturszenen immer derselbe - sein Auge sprach noch weniger als
seine Lippen, und obgleich Aubrey nun dem Gegenstande seiner
Neugier so nahe war, als er sein konnte, hatte er doch dadurch
nichts mehr, als eine stärkere Anreizung zur Enthüllung des
Geheimnisses erhalten, das seiner exaltierten Einbildungskraft
immer mehr wie etwas Übernatürliches vorkam.
Sie gelangten bald nach Rom, und Aubrey verlor seinen Gefährten
einige Zeit aus den Augen. Dieser befand sich täglich in den
Morgenzirkeln einer italienischen Gräfin, indes er die Denkmäler
einer längst untergegangenen Vorwelt aufsuchte. Unter dieser
Beschäftigung erhielt er Briefe aus England, die er mit der
größten Sehnsucht öffnete. Der erste war von seiner
Schwester und atmete die reinste Zärtlichkeit; die anderen
waren von seinen Vormündern, und diese setzten ihn in
Erstaunen. Hatte er schon vorher den Gedanken gehegt, daß in
seinem Gefährten irgendein böser Geist wohnen möge, so
erhielt derselbe nun dadurch volle Bestätigung. Die Vormünder
drangen in ihn, er möchte sogleich sich von seinem Freunde
trennen, denn da dieser eine unwiderstehliche Macht der Verführung
zu besitzen scheine, so werde sein Umgang höchst gefährlich.
Man habe nämlich entdeckt, daß seine Verachtung gegen Lady
Mercer nicht auf ihren Charakter sich gegründet, sondern daß
er, um seine Gunstbezeugung zu erhöhen, verlangt habe, daß
sein Schlachtopfer, die Teilnehmerin seiner Schuld, von dem
Gipfel unbefleckter Tugend in den tiefsten Abgrund des Lasters
habe herabgeschleudert werden sollen. Auch sei man nun gewiß
geworden, daß alle Frauen, die er dem Scheine nach ihrer
Tugend wegen aufgesucht, seit seiner Abreise sich in ganz
andrem Lichte, ja in der höchsten Unverschämtheit gezeigt hätten.
Aubrey beschloß, nunmehr einen Mann zu verlassen, dessen
Charakter auch nicht einen Lichtstrahl zeigte, auf dem das
Auge mit Lust weilen konnte. Er beschloß, auf einen Vorwand
zu sinnen und sich von ihm zu trennen, doch in der
Zwischenzeit ihn noch genauer als vorher zu beobachten und
nicht den geringsten Umstand außer acht zu lassen. Er begab
sich in denselben Zirkel und sah, daß der Lord versuchte, auf
die unerfahrene Tochter des Hauses zu wirken. In Italien ist
es selten, daß man unvermählte Damen in der Gesellschaft
trifft, daher mußte er seine Pläne im geheimen auszuführen
suchen. Allein Aubreys Auge folgte ihm in allen seinen
Wendungen, und bald bemerkte er, daß es bis zu einem
Rendezvous gekommen sei, wo wahrscheinlich die Unschuld des
verdachtlosen Mädchens geopfert werden sollte. Ohne
Zeitverlust trat er zu Lord Ruthven ins Zimmer und fragte ihn
unverhohlen nach seiner Absicht mit der Signora; der Lord
versetzte, seine Absicht sei die bei solchen Gelegenheiten gewöhnliche,
und auf die abermalige Frage, ob er denn das Mädchen zu
heiraten gedenke, lachte er laut. Aubrey entfernte sich,
schrieb ihm aber auf der Stelle einen Abschiedsbrief, ließ
seine Sachen in eine andere Wohnung bringen und unterrichtete
die Mutter von allem, was er wußte, auch von des Lords
Charakter. Das Rendezvous wurde verhindert. Den andern Tag
sandte der Lord eine Erklärung, daß er mit der Trennung wohl
zufrieden sei, ließ aber nicht das Geringste merken, daß er
wisse, sein Plan sei durch Aubrey vereitelt worden.
Nachdem Aubrey Rom verlassen, wandte er seine Schritte
nach Griechenland und befand sich nach Durchstreifung der
Halbinsel zu Athen. Er nahm hier seine Wohnung in dem Hause
eines Griechen, und bald beschäftigte er sich damit, die
erbleichenden Erinnerungen alter Herrlichkeit auf den Denkmälern
aufzusuchen, die, sich schämend, die Taten freier Menschen
vor Sklaven zu erzählen, sich entweder in die schützende
Erde versteckt oder hinter rankende Gesträuche verborgen
hatten. Mit ihm unter einem Dache aber lebte ein Wesen so zart
und schön, daß es einem Maler hätte zum Modell dienen können,
der die den Gläubigen in Mohammeds Paradiese versprochene
Hoffnung hätte lebend abbilden wollen, nur daß ihr Auge zu
viel Seele zeigte, als daß man es denen hätte zuteilen können,
welche keine Seelen haben. Wenn sie auf der Ebene tanzte oder
längs den Gebirgen hinsprang, glaubte man eine Gazelle zu
sehen, aber ihr Auge, aus dem die ganze beseelte Natur zu
sprechen schien, wo hätte dieses ein Gleichnis gefunden? -
Janthes leichter Schritt begleitete Aubrey oft auf seinen
forschenden Wanderungen, und nicht selten enthüllte das
unbefangene Geschöpf bei Verfolgung eines Schmetterlings alle
Reize seiner schönen Gestalt dem gierigen Blicke des
Fremdlings, der nun gern die kaum entzifferten Buchstaben auf
einer halbverlöschten Tafel über dem Anschauen dieser
lebenden Schönheit vergaß. Die Flechten ihres schönen
blonden Haares glichen, um ihr Haupt herabfallend, den
Sonnenstrahlen und verdunkelten das Auge des Antiquars, statt
es zu erleuchten. Doch wozu der Versuch, das Unbeschreibliche
zu beschreiben?
Wenn er bemüht war, die Überreste der alten Welt in
Zeichnungen für künftige Stunden aufzubewahren, so stand das
Mädchen bei ihm, seine Arbeit bewundernd und ihm die ländlichen
Tänze ihrer Heimat beschreibend oder einen Hochzeitszug,
dessen sie sich noch aus ihrer Kindheit erinnerte. Oft erzählte
sie ihm auch Märchen, worunter sich das von einem lebenden
Vampyr befand, der jahrelang unter seinen Freunden und
Verwandten umhergegangen sei, gezwungen, jedes Jahr durch
Aufzehrung des Lebens eines schönen Weibes seine Existenz für
die nächste Zeit zu verlängern. Aubrey gerann dabei das Blut
in den Adern, indes er versuchte, die Erzählerin wegen ihrer
furchtbaren Phantasien auszulachen. Janthe aber nannte ihm die
Namen alter Leute, welche ein solches Wesen erst unter sich
entdeckt hatten, als viele ihrer nächsten Verwandten und
Kinder mit den Zeichen des gestillten Appetits ihres Feindes
gefunden worden waren, und als sie ihn so ungläubig fand, bat
sie ihn, ihr doch ja zu glauben, denn man habe bemerkt, daß
die, welche es gewagt hätten, die Existenz der Vampyre zu
bezweifeln, genötigt worden waren, mit gebrochenem Herzen
endlich die Wahrheit einzugestehen. Sie beschrieb ihm das Äußere
dieser Wesen der Sage gemäß, und wie groß war sein
Entsetzen, als er darin eine treue Schilderung des Lord
Ruthven erkannte; demungeachtet suchte er ihr die Furcht
auszureden, ob er sich gleich wunderte über so manches, das
hier zusammengetroffen war, um den Glauben an eine übernatürliche
Gewalt des Lord Ruthven zu begründen.
Aubrey neigte sich mehr und mehr zu Janthen hin; ihre
Unschuld, im Kontraste mit den affektierten Tugenden der
Weiber, unter denen er Urbilder seiner romantischen Ideen
gesucht hatte, gewann sein Herz, und indes er es lächerlich
fand, daß ein junger Engländer ein unerzogenes griechisches
Mädchen heiraten wolle, fand er sich immer stärker von der
schönsten Gestalt angezogen, die er je gesehen hatte. Janthe
ahnte diese aufkeimende Liebe nicht und blieb sich in ihrer
ersten kindlichen Unbefangenheit immer gleich. Sie trennte
sich zwar immer ungern von Aubrey, allein meistens deshalb,
weil sie nun niemand hatte, unter dessen Schutz sie ihre
Lieblingsorte besuchen konnte. In Hinsicht der Vampyre hatte
sie sich auf ihre Eltern berufen, und beide bestätigten,
bleich vor Schrecken schon bei Nennung des Wortes, die
Wahrheit der Sache.
Kurz darauf wollte Aubrey wieder einen Ausflug machen, der
ihn einige Stunden beschäftigen konnte; als die Leute den
Namen des Ortes hörten, baten sie ihn dringend, nur nicht des
Nachts zurückzukehren, weil er durch einen Wald reiten müsse,
wo sich kein Grieche nach Sonnenuntergang zu verweilen pflege.
Hier hielten nämlich die Vampyre ihre nächtlichen Orgien,
und wehe dem, der ihnen dabei begegnete. Die Leute entsetzten
sich, als er es wagte, über die Gewalt unterirdischer Mächte
zu spotten, und so schwieg er.
Am nächsten Morgen begab sich Aubrey ohne alle Begleitung
auf seine Wanderung; er wunderte sich über das schwermütige
Aussehen seines Wirtes und war sehr bewegt, als er hörte, daß
seine Worte, womit er den Glauben an jene furchtbaren Feinde
hatte verspotten wollen, auf die Familie so schreckend gewirkt
hatten. Als er sich zu Pferde setzte, bat ihn Janthe nochmals,
vor nachts zurückzukehren, und er versprach es.
Seine Nachforschungen beschäftigten ihn indessen
dergestalt, daß er das Abnehmen des Tages nicht bemerkte, und
wie sich am Horizonte eine von den kleinen Wolken zeigte, die
in wärmeren Klimaten so schnell zu furchtbaren Gewittern
anwachsen und oft Verheerung über ganze Gegenden verbreiten.
Er bestieg demungeachtet sein Pferd, um durch Eile die versäumte
Zeit nachzuholen, allein zu spät; die Dämmerung ist in jenen
Gegenden fast ganz unbekannt; sogleich nach Untergang der
Sonne wird es Nacht, und er war noch nicht weit geritten, als
das Ungewitter mit Sturm, Regen, Blitz und Donner losbrach.
Sein Pferd wurde scheu und stürmte mit furchtbarer
Schnelligkeit durch den finstren Wald hin. Endlich blieb es
ermüdet stehen, und beim Scheine der Blitze erkannte er, daß
er sich in der Nähe einer Hütte von Binsen oder Rohr
befinde, die kaum aus der Masse welker Blätter und
verworrenen Gebüsches hervorsah, womit sie umgeben war. Er
stieg ab und näherte sich, in der Hoffnung, entweder einen Führer
nach der Stadt oder wenigstens Schutz vor dem Ungewitter zu
finden. Als er ganz nahe war und der Donner einen Augenblick
schwieg, vernahm er das schreckliche Geschrei einer weiblichen
Stimme, untermischt mit einem höhnischen Gelächter, das fast
ununterbrochen fortdauerte. Er stutzte, aber aufgeschreckt von
dem über ihn hinrollenden Donner erbrach er mit einer
gewaltigen Anstrengung die Tür der Hütte. Er stand in dicker
Finsternis, doch leitete ihn der Schall; er rief, aber der Ton
dauerte fort. Man schien ihn nicht zu bemerken. Er stieß
endlich mit jemand zusammen, den er sogleich faßte; da schrie
eine Stimme: "Abermals getäuscht!" worauf ein
lautes Gelächter folgte. Endlich fühlte er sich selbst von
jemand ergriffen, der eine übermenschliche Stärke zu haben
schien. Er beschloß, sein Leben so teuer als möglich zu
verkaufen, und kämpfte, allein vergebens, seine Füße
glitten aus, und er wurde mit ungeheurer Gewalt zu Boden
geworfen. Sein Feind warf sich auf ihn und stemmte ihm die
Hand auf die Brust, da fiel der Schein einiger Fackeln durch
das Loch, durch die das Tageslicht eindrang; sogleich sprang
jener auf, ließ seine Beute los, rannte zur Tür hinaus, und
bald vernahm man das Geräusch der Zweige nicht mehr, durch
die er sich Bahn gemacht hatte.
Der Sturm war nun vorüber, und Aubrey, der sich nicht rühren
konnte, wurde von denen gehört, die draußen waren. Sie
traten herein; das Licht der Fackeln fiel auf die schmutzigen
Wände und die einzelnen Lagerstätten von Stroh und Binsen,
worauf einige Kleidungsstücke lagen. Auf Aubreys Begehren
suchte man nach derjenigen, deren Geschrei ihn angezogen
hatte. Er blieb nun wieder im Dunkeln; allein wer malt sein
Entsetzen, als er beim Lichte der rückkehrenden Fackeln die
reizende Gestalt seinen Führerin erkannte, die jetzt ein
lebloser Leichnam war! Er traute seinen Augen kaum, doch ein
abermaliges Hinstarren überzeugte ihn, daß es wirklich das
liebliche Geschöpf sei. Auf ihren Wangen, selbst auf ihren
Lippen war keine Farbe mehr; doch war über das Gesicht eine
Ruhe verbreitet, die fast so anziehend schien als das sonst
hier wohnende Leben; auf ihrem Nacken und ihrer Brust war Blut
sichtbar, und an der letzteren sogar das Zeichen von Zähnen,
die eine Ader geöffnet hatten. Plötzlich riefen die Männer,
mit Entsetzen darauf hindeutend: "Ein Vampyr! ein
Vampyr!" Man machte eine Tragbahre und legte Aubrey an
die Seite derjenigen, welche vor kurzem noch Gegenstand seiner
Bewunderung und manches süßen Traumes gewesen war. Er wußte
nicht, was er denken sollte, sein Geist versank in eine wohltätige
Betäubung; auf einmal ergriff er fast bewußtlos einen
nackten Dolch von ganz besonderer Bildung, der in der Hütte
am Boden gelegen hatte; da erschienen auch Leute, die die
Vermißte im Namen der Eltern suchten. Als sie sie fanden,
schrien sie laut auf; und als endlich die Eltern das unglückliche
Kind erkannten, starben beide in kurzem vor Schmerz und Gram.
Aubrey wurde von einem hitzigen Fieber befallen und hatte
oft Geistesabwesenheiten; in diesen rief er den Lord Ruthven
und Janthe - durch eine unerklärliche Verbindung der Ideen
schien er seinen früheren Gefährten zu bitten, das Leben
derjenigen zu schonen, die er liebte. Zu andern Zeiten schüttete
er mehr Verwünschungen über sein Haupt aus, als über ihren
Mörder und Verführer.
Lord Ruthven kam um diese Zeit selbst nach Athen, und
sobald er von Aubreys Zustande hörte, nahm er seine Wohnung
gleichfalls in demselben Hause und wurde sein immerwährender
Gesellschafter. Als der Kranke aus seiner Geistesabwesenheit
zu sich kam, erschrak und erstaunte er über den Anblick
desjenigen, dessen Bild er stets mit dem eines Vampyrs
verwechselt hatte; allein Lord Ruthven versöhnte den Kranken
bald mit seiner Gegenwart durch seine freundlichen Reden und
durch die Reue, die er über den Fehler bezeugte, der ihre
Trennung veranlaßt hatte, mehr noch aber durch die
Aufmerksamkeit, Besorglichkeit und Teilnahme, die er ihm
bewies.
Der Lord schien in der Tat gänzlich verändert. Er war
gar nicht mehr das teilnahmslose Wesen, das so furchtbar auf
Aubrey gewirkt hatte; allein sowie dessen Genesung
fortschritt, fiel jener auch wieder in sein voriges Wesen zurück,
und Aubrey bemerkte keine Veränderung an ihm, als das
zuweilen Ruthvens Blick mit einem Ausdrucke von höhnischem Lächeln
um die Lippen fest auf ihm zu ruhen schien. Dieses Lächeln
erfüllte ihn mit geheimem Schauder, ohne daß er wußte
warum.
Aubreys Gemüt war durch diese Erschütterung äußerst
angegriffen worden, und jene geistige Elastizität, die ihn
sonst ausgezeichnet hatte, schien auf immer verschwunden. Er
war jetzt ein ebenso großer Liebhaber der Einsamkeit als Lord
Ruthven, allein sein Gemüt konnte dieses Verlangen nicht in
der Nachbarschaft von Athen erfüllt finden; wo immer er sich
hier hinbegab, stand Janthes liebliche Gestalt vor ihm; in den
Wäldern glaubte er ihren leichten Schritt zu bemerken, wie
sie Veilchen und andere Frühlingsblumen suchte, bis sie ihm
plötzlich ihr bleiches Gesicht und ihre verwundete Brust mit
einem holdseligen Lächeln auf den rosigen Lippen zu zeigen
schien. Er beschloß, eine Gegend zu fliehen, wo ihn solche
Erinnerungen verfolgten, und machte daher dem Lord Ruthven,
dem er sich für die zarte Teilnahme verbunden fühlte, die er
ihm während seiner Krankheit bewiesen hatte, den Vorschlag,
diejenigen Gegenden Griechenlands zu besuchen, die sie noch
nicht gesehen hatten. Sie durchstreiften nun das Land in allen
Richtungen, ohne jedoch das sehr zu beachten, was sich ihren
Blicken darbot. Sie hörten viel von Räubern, fingen jedoch
an, auf diese Nachrichten weniger acht zu geben, weil sie sie
für die Erfindung eigennütziger Personen hielten, welche
ihren Schutz teuer verkaufen wollten. Die Warnung der
Einwohner übersehend, reisten sie auch einst nur mit weniger
Bedeckung, die ihnen mehr zu Führern als zum Schutze diente.
In einem engen Hohlweg, in dessen Tiefe ein Bach hinrauschte,
und den auf beiden Seiten hohe Felsmassen umstarrten, hatten
sie Ursache, ihre Nachlässigkeit zu bereuen; denn kaum war
der ganze Zug in den Engpaß hinein, als sie durch das Pfeifen
von Kugeln dicht über ihren Häuptern, durch den Knall von
Flintenschüssen, die das Echo wiederholte, erschreckt wurden.
In einem Augenblicke hatten ihre Wachen sie verlassen, und,
hinter die Felsen sich stellend, begannen diese in der
Richtung zu feuern, woher die Schüsse tönten. Lord Ruthven
und Aubrey, ihr Beispiel nachahmend, zogen sich für einen
Augenblick hinter die schützenden Seitenwände des Hohlweges
zurück, allein, sich schämend, daß sie sich vor einem
Feinde verstecken sollten, der sie herauszufordern schien, und
fürchtend, hier endlich im Rücken genommen zu werden,
beschlossen sie, den Angreifern mutig entgegen zu gehen.
Jedoch, kaum hatten sie ihren Schutzort verlassen, als Lord
Ruthven einen Schuß in die Schulter erhielt, der ihn zu Boden
streckte. Aubrey eilte ihm zu Hilfe und sah sich bald nun von
den Räubern umringt, denn die Begleiter hatten schon ihre
Waffen weggeworfen und sich ergeben.
Durch Versprechung großer Belohnung brachte Aubrey die Räuber
dahin, seinen verwundeten Freund in eine nahe Hütte zu
tragen, und nachdem er ein Lösegeld versprochen hatte, wurde
er nicht mehr durch ihre Gegenwart belästigt, denn sie begnügten
sich, bloß den Eingang zu bewachen, bis der Abgeschickte mit
dem Lösegeld zurückgekehrt sein würde.
Lord Ruthvens Kräfte nahmen schnell ab, in zwei Tagen war
er dem Tode nahe, und er fühlte diesen mit schnellen
Schritten sich nahen. Sein Aussehen und Benehmen hatte sich
nicht verändert, er schien weder der Schmerzen noch seiner
Umgebung zu achten, gegen Ende des letzten Abends aber wurde
er sichtbar unruhig, und sein Auge heftete sich oft auf Aubrey,
der ihm seinen Beistand mit mehr als gewöhnlichem Ernst
anzubieten sich gedrungen fühlte.
"Helfen Sie mir! Sie können mich retten! Sie können
mehr tun als das! - Ich meine nicht mein Leben, ich achte den
Verlust desselben nicht höher als den des scheidenden Tages,
aber - meine Ehre können Sie retten, Ihres Freundes Ehre! -
"
"Wie? Reden Sie! Ich werde alles tun, was ich
vermag", versetzte Aubrey.
"Ich bedarf nur wenig ... mein Leben entflieht
schnell ... ich kann nicht alles enthüllen ... wenn Sie aber,
was Sie von mir wissen, verbergen wollen, so würde meine Ehre
vom Gerede der Welt unbefleckt bleiben ... und wenn mein Tod
einige Zeit in England unbekannt bliebe ... Ich ... aber das
Leben ... "
"Er soll nicht bekannt werden!"
"Schwören Sie!" rief der Sterbende, indem er
sich mit ungewöhnlicher Heftigkeit aufrichtete. - "Schwören
Sie bei allem, was Ihnen heilig ist, bei allem, was Sie fürchten,
daß Sie binnen Jahr und Tag keinem lebenden Wesen auf
irgendeine Art das mitteilen wollen, was Ihnen von meinem
Verbrechen und meinem Tode bekannt ist, es mag sich ereignen,
was da will, Sie mögen sehen, was Sie wollen." Seine
Augen schienen sich bei dieser Rede aus ihren Kreisen zu
drehen.
"Ich schwöre!" rief Aubrey, und jener sank
sterbend auf sein Kissen zurück und atmete nicht mehr. Aubrey
begab sich zwar zur Ruhe, konnte aber nicht schlafen, die
mancherlei Umstände, wovon seine Bekanntschaft mit diesem
Manne begleitet gewesen war, wurden wieder klar in seiner
Seele; und er wußte nicht, wie es geschah, wenn er sich
seines Schwures erinnerte, überfiel ihn ein kalter Schauer,
wie das Vorgefühl von etwas Schrecklichem, das ihn erwartete.
Mit dem frühesten Morgen stand er auf, und eben war er im
Begriff, die Hütte zu betreten, wo er den Leichnam verlassen
hatte, als ihm ein Räuber entgegentrat und ihm meldete, daß
sich jener nicht mehr dort befinde, indem er von ihm und
seinen Kameraden auf den Gipfel eines benachbarten Berges
getragen worden sei, in Gemäßheit des Versprechens, das sie
dem Lord gegeben, daß er dem ersten kalten Strahle des
Mondes, der nach seinem Tode aufgehen würde, ausgesetzt
werden sollte. Aubrey erstaunte, nahm einige der Männer mit
sich, entschlossen, den Berg zu besteigen und den Leichnam an
dem Orte zu beerdigen, wo er läge. Allein, als er den Gipfel
erreicht hatte, fand er weder Spuren von dem Leichnam, noch
von den Kleidern, obgleich die Räuber schworen, das sei
derselbe Felsen, wohin sie den Toten gelegt. Er verlor sich
einige Zeit in seltsamen Vermutungen, allein endlich kehrte er
zurück, in der Überzeugung, daß sie den Körper, um die
Kleider zu gewinnen, beerdigt hätten.
Überdrüssig einer Gegend, wo er so furchtbares Mißgeschick
erfahren, und wo sich alles verschworen zu haben schien, jene
zum Aberglauben sich neigende Schwermut zu nähren, die sich
seines Gemüts bemächtigt hatte, beschloß er abzureisen, und
in kurzem befand er sich in Smyrna. Indes er auf ein Schiff
wartete, welches ihn nach Otranto oder Neapel überführen
sollte, beschäftigte er sich mit Ordnung der Sachen, die er
als dem Lord Ruthven zugehörig mit sich genommen hatte. Unter
denselben befand sich auch eine Kiste, welche verschiedene
Angriffswaffen enthielt, die mehr oder weniger geeignet waren,
unfehlbar den Tod zu geben. Auch mehrere Dolche und Jatagans
waren dabei. Indem er ihre seltsame Gestalt betrachtete, wie
erschrak er, als er eine Scheide fand, in derselben Art
verziert wie der Dolch, den er in jener Hütte gefunden hatte!
... Er schauderte ... Nach weiteren Beweisen suchend, fand er
auch die Waffe, und man kann sich seinen Schreck denken, als
er entdeckte, daß sie, wenn auch besonders geformt, in die
Scheide genau paßte, die er in der Hand hielt. Wie gern hätte
er gezweifelt. Er starrte fest auf den Dolch hin, ja! er war
es ... auch Blutstropfen waren auf ihm und der Scheide zu
bemerken! - Er verließ Smyrna, und auf seinem Rückwege nach
der Heimat war es in Rom sein erstes Geschäft, sich nach der
jungen Dame zu erkundigen, die er aus des Lord Ruthvens
Fallstricken zu befreien gesucht hatte. Ihre Eltern lebten im
Elende, ihr Vermögen war zu Grunde gerichtet, und man hatte
seit des Lords Abreise nichts wieder von ihr gehört. Aubreys
Gemüt erlag fast unter den Stürmen so wiederholter
Schrecknisse, er fürchtete, auch die junge Italienerin möchte
Janthes Verführer zur Beute geworden sein. Er wurde düster
und einsilbig; sein Geschäft bestand bloß darin, die
Postillions zur Eile anzutreiben, gleich als sei er im
Begriff, das Leben eines ihm teuren Wesens zu retten. So kam
er in Calais an; ein Landwind, der seinen Wünschen günstig
war, brachte ihn schnell an Englands Küste. Er eilte nach dem
väterlichen Hause, und hier schien er, auf Augenblicke
wenigstens, in den Umarmungen seiner Schwester die
Erinnerungen des Vergangenen aus den Augen zu verlieren. Hatte
sie schon früher durch ihre kindlichen Liebkosungen seine
Zuneigung gewonnen, so erschien sie ihm jetzt als Jungfrau
noch reizender und liebenswerter.
Miß Aubrey besaß nicht jenes einnehmende Wesen, welches
die Aufmerksamkeit und den Beifall großer Gesellschaften zu
erregen imstande ist, nichts von jenem glänzenden Schimmer,
der nur in der erhitzten Atmosphäre eine vollgestopften
Zimmers leuchtet. Ihre blauen Augen waren nicht die leicht
beweglichen Spiegel eines leichtsinnigen Gemüts. Ein
melancholischer Reiz wohnte in ihnen, der nicht von Unglück,
sondern von einem tieferen Gefühl herzurühren schien, das
auf eine Seele schließen ließ, die sich eines höheren
Vaterlandes bewußt war. Ihr Schritt war nicht ein leichtes Hüpfen,
durch einen Schmetterling oder eine glänzende Blume
angezogen, sondern ernst und sinnend. Wenn sie allein war,
wurde ihr Gesicht nie durch das Lächeln der Freude verklärt,
aber wenn ihr Bruder ihr seine Liebe bewies, wenn er in ihrem
Umgange jenen Gram zu vergessen suchte, der, wie sie wußte,
seine Ruhe untergrub, wer hätte dann ihr Lächeln gegen das
der Wollust vertauscht? - Dann schien es, als glänzten diese
Augen, dieses Gesicht in dem Lichte ihres schöneren
Geburtslandes. Sie stand erst im achtzehnten Jahre und war
noch nicht in die Welt eingeführt worden, indem es ihre Vormünder
für besser gehalten hatten, ihre Vorstellung daselbst so
lange zu verschieben, bis ihr Bruder, vom Festlande zurückgekehrt,
öffentlich als ihr Beschützer würde auftreten können.
Es war nun bestimmt, daß der nächste Hofzirkel, der
nicht sehr entfernt war, die Epoche ihres Eintritts auf den
geräuschvollen Schauplatz werden sollte. Aubrey hätte sich
freilich lieber auf sein väterliches Haus beschränkt und der
Melancholie Nahrung gegeben, die sich seiner ganz und gar bemächtigte.
Er konnte keine Teilnahme empfinden an dem leichtfertigen
Gespräch modischer Fremder, indes sein Gemüt durch die
Begebenheiten zerrissen wurde, von denen er Augenzeuge gewesen
war; allein er beschloß, seine eigene Bequemlichkeit der
Beschützung seiner Schwester aufzuopfern. Bald trafen sie in
der Stadt ein und rüsteten sich für den nächsten Tag, der
zum Galatage angesetzt war. Die Menschenmenge war außerordentlich,
seit langer Zeit war kein Zirkel gewesen, und alles, was sich
in dem Lächeln der Hoheit zu sonnen trachtete, eilte
sehnsuchtsvoll herbei. Aubrey mit seiner Schwester hatte sich
gleichfalls eingefunden. Indes er einsam in einer Ecke stand,
die Umgebungen wenig beachtend, versank er in die Erinnerung,
daß er an derselben Stelle den Lord Ruthven zum ersten Mal
gesehen habe ... Da fühlte er sich plötzlich am Arme
ergriffen, und eine nur zu bekannte Stimme raunte ihm ins Ohr:
"Gedenke deines Eides!" Er hatte kaum den Mut, sich
umzusehen, fürchtend, er möchte ein Gespenst erblicken, als
er in einiger Entfernung dieselbe Gestalt wahrnahm, welche
seine Aufmerksamkeit beim ersten Eintritte in diesen Saal auf
sich gezogen hatte. Er starrte darauf hin, bis ihn seine Füße
nicht mehr tragen wollten, dann faßte er den Arm eines
Freundes, bahnte sich einen Weg durch die Menge, warf sich in
den Wagen und eilte nach Hause. Hier schritt er mit heftigen
Schritten das Zimmer auf und ab, die Hand an die Stirn gelegt,
gleich als fürchtete er, die Gedanken möchten diese
zersprengen. Lord Ruthven stand vor ihm ... Umstände aus der
Vergangenheit belebten sich ... der Dolch ... sein Eid! -
Sollten die Toten auferstehen? - Er glaubte, seine Phantasie
habe bloß das Bild belebt, welches in seiner Seele wohnte. Es
konnte unmöglich Wirklichkeit sein, er beschloß daher,
wieder in Gesellschaft zu gehen; denn obgleich er versucht
hatte, sich nach Lord Ruthven zu erkundigen, so erstarb doch
der Name auf seinen Lippen, und er vermochte nichts über ihn
zu erfahren.
Einige Tage nachher besuchte er mit seiner Schwester eine
Gesellschaft bei einem nahen Verwandten. Er ließ sie unter
dem Schutze einer älteren Dame und begab sich an einen
stillen Ort, wo er seinen Gedanken nachhing. Da er aber
endlich bemerkte, daß einige Abschied nahmen, erhob er sich,
ging in ein anderes Zimmer und fand hier seine Schwester von
mehreren umgeben und, wie es schien, im ernsten Gespräche: er
suchte sich Platz zu machen und zu ihr zu gelangen, da wandte
sich jemand, den er bat, ihn durchzulassen, und - er erkannte
dieselben Züge, die er so sehr verabscheute. Schnell ergriff
er den Arm seiner Schwester und zog sie eilig mit sich fort
auf die Straße. An der Tür wurde er durch die Menge der
Diener verhindert, vorwärts zu kommen, und indem er sich
durchdrängen wollte, hörte er, daß eine Stimme wieder ganz
dicht bei ihm flüsterte: "Gedenke deines Eides!" Er
wagte es nicht, sich umzuschauen, sondern eilte, seine
Schwester mit sich fortziehend, schnell nach Hause.
Aubrey wurde fast wahnsinnig. War sein Geist schon vorher
in einen einzigen Gedanken versunken gewesen, wie sehr wurde
dieser Zustand verstärkt, da er nun die Gewißheit hatte, daß
des Ungeheuers Leben von neuem sein Gemüt belastete. Er
beachtete seiner Schwester Zärtlichkeit kaum, und vergebens
drang sie in ihn, nach der Ursache seines rätselhaften
Benehmens forschend. Er stieß bloß wenige Worte aus, und
diese erschreckten sie. Je mehr er nachsann, um so verstörter
wurde er. Sein Eid machte ihn schaudern ... sollte er denn
gestatten, daß das Ungeheuer Verderben hauchend unter allen,
die ihm teuer waren, umhergehe, und nicht versuchen, seine
Fortschritte zu hemmen? Seine eigene Schwester konnte ja von
ihm erreicht werden! - Aber gesetzt auch, er wollte seinen Eid
brechen und seine Vermutungen laut werden lassen, wer würde
ihm glauben? Er kam wohl auf den Gedanken, seine eigene Hand
zu brauchen, um die Welt von solch einem Elenden zu befreien,
allein der Tod, erinnerte er sich, hatte ja keine Gewalt über
ihn. Mehrere Tage blieb er in diesem Zustande, schloß sich in
seinem Zimmer ein und genoß bloß einige Nahrung, wenn seine
Schwester zu ihm kam und ihn mit tränenden Augen bat, doch um
ihretwillen seine Kräfte nicht sinken zu lassen. Endlich
konnte er selbst die Stille und Einsamkeit nicht länger
ertragen, er verließ seine Wohnung und eilte von Straße zu
Straße, ängstlich fliehend vor dem Bilde, welches ihn immerwährend
verfolgte. Er vernachlässigte seine Kleidung und wanderte
ebenso am hellen Tage wie um Mitternacht umher. Man erkannte
ihn kaum. Anfangs kehrte er mit dem Abend nach Hause zurück,
allein endlich legte er sich da nieder, wo ihn die Ermüdung
überfallen hatte. Seine Schwester, besorgt für seine
Gesundheit, stellte Leute an, die ihm folgen mußten, aber sie
verloren ihn bald aus dem Gesicht, denn er floh vor jedem
Verfolgenden schneller, als mancher vor Gedanken.
Indessen änderte sich mit einem Male sein Benehmen.
Ergriffen von der Idee, daß er in seiner Abwesenheit alle
seine Freunde mit einem Feinde allein ließ, dessen Gegenwart
sie nicht ahnten, beschloß er, wieder in Gesellschaft zu
gehen und ihn genau zu bewachen, in der Absicht, trotz seines
Eides alle zu warnen, denen sich Lord Ruthven auf eine
vertrauliche Art nähern mochte. Doch wenn er in einen
geselligen Kreis trat, waren seine lauernden, spähenden
Blicke so ergreifend, sein innerlicher Schauder so sichtbar,
daß sich seine Schwester endlich genötigt sah, ihn zu
bitten, er möge ihretwegen doch nicht eine Gesellschaft
besuchen, welche einen so unangenehmen Eindruck auf ihn zu
machen scheine. Da jedoch alle Vorstellungen fruchtlos waren,
glaubten die Vormünder, sich ins Mittel schlagen zu müssen,
und fürchtend, daß sein Geist zerrüttet werden mochte,
hielten sie es für hohe Zeit, ein Amt wieder zu übernehmen,
das ihnen schon vorher von Aubreys Eltern übertragen worden
war.
Voll Verlangen, ihn vor den Beleidigungen und
Unannehmlichkeiten zu schützen, die er täglich auf seinen
Wanderungen erfuhr, und den Augen der Menge nicht das bloßzustellen,
was sie für Zeichen des Wahnsinns hielten, veranlaßten sie
einen Arzt, in seinem Hause Wohnung zu nehmen und ihn in
steter Obhut zu halten. Er schien dies kaum zu bemerken, so
sehr war sein Geist nur mit dem einzigen furchtbaren
Gegenstande beschäftigt. Seine innere Verworrenheit wurde
endlich so groß, daß er auf sein Zimmer beschränkt werden
mußte. Hier lag er denn oft auf einer Stelle tagelang, ohne
daß er imstande war, aufzustehen. Er war äußerst mager
geworden, seine Augen hatten ein gläsernes Aussehen bekommen,
das einzige Zeichen von Gefühl und Erinnerung entfaltete er
beim Eintritt seiner Schwester, dann sprang er zuweilen auf,
und ihre Hand ergreifend, bat er sie mit Blicken, die sie in
innerster Seele durchdrangen, sie möge ihn nicht berühren.
"O!" sagte er, "berühre ihn ja nicht!"
Wenn sie nun forschte, worauf sich diese Bitte bezöge, war
seine einzige Antwort: "Gewiß! Gewiß!" und dann
sank er wieder in einen Zustand zurück, aus dem auch sie ihn
nicht erheben konnte. So blieb es mehrere Monate; sowie indes
das Jahr allmählich vorüberging, wurden auch seine Gemütszerrüttungen
minder häufig, und sein Geist befreite sich zum Teil von
seiner Verdüsterung. Seine Wächter bemerkten auch, daß er
des Tags zuweilen eine gewisse Zahl an den Fingern berechnete
und dann lächelte. Fast war die Zeit verflossen, als am
letzten Tage des Jahres einer seiner Vormünder in das Zimmer
trat und mit dem Arzt über den traurigen Umstand sprach, daß
sich Aubrey noch immer in einer so schrecklichen Lage befinde,
indes seine Schwester nächstens verheiratet werden würde.
Dies erregte sogleich Aubreys Aufmerksamkeit, und er fragte ängstlich,
an wen? - Voll Freude über diesen Beweis des rückkehrenden
Verstandes, dessen sie ihn schon für ganz beraubt gehalten
hatten, nannten sie ihm den Namen des Earl of Marsden. Da er
dachte, daß dies ein junger Edelmann sei, den er in
Gesellschaft gesehen habe, schien Aubrey sehr zufrieden und
setzte die Vormünder noch mehr dadurch in Verwunderung, daß
er den Wunsch zu erkennen gab, bei der Hochzeit zugegen zu
sein und seine Schwester zu sehen. Sie antworteten ihm nichts,
aber in wenigen Minuten war seine Schwester bei ihm.
Er war dem Anscheine nach noch fähig, von der Wirkung
ihres lieblichen Lächelns gerührt zu werden, denn er drückte
sie an seine Brust und küßte ihre Wange, welche Tränen
benetzten, die dem Gedanken flossen, daß ihres Bruders Gemüt
den Empfindungen der Liebe wieder geöffnet sei. Er begann
nun, mit all seiner gewöhnlichen Wärme zu sprechen und ihr
Glück zu wünschen zu ihrer Vermählung mit einem durch Rang
und andere Vollkommenheiten so ausgezeichneten Manne; da
bemerkte er plötzlich ein Miniaturbild auf ihrer Brust; er
betrachtete es genauer, und wie groß war sein Erstaunen, als
er die Züge des Ungeheuers erkannte, welches einen so langen
Einfluß auf sein Leben gehabt hatte. In einem Anfall von Wut
ergriff er das Porträt und trat es mit Füßen. Als sie ihn
fragte, warum er so die Abbildung ihres künftigen Gemahls
zerstöre, sah er sie an, als wenn er sie nicht verstünde,
dann ergriff er ihre Hände und schaute sie mit einem Ausdruck
wilder Verwirrung an, indem er sie bat, zu schwören, daß sie
nie dieses Ungeheuer heiraten wolle, denn er ... Er konnte
nicht weiter sprechen, es schien, als ob die Stimme ihn wieder
aufforderte, seines Eides zu gedenken, - schnell wandte er
sich um und dachte Lord Ruthven zu erblicken, allein er sah
niemand. Unterdessen waren die Vormünder und der Arzt
eingetreten, welche das alles mit angehört hatten, und da sie
es für die Rückkehr seines Wahnsinnes hielten, trennten sie
ihn mit Gewalt von Miß Aubrey und baten sie, sich zu
entfernen. Nun fiel er ihnen zu Füßen, bat, beschwor sie nur
einen Tag um Aufschub. Sie wurden dadurch noch mehr in ihrer
Meinung von dem rückkehrenden Wahnsinne Aubreys bestärkt,
versuchten ihn zu beruhigen und entfernten sich.
Lord Ruthven hatte den Morgen nach dem Hofzirkel seinen
Besuch machen wollen, war jedoch so wie niemand angenommen
worden. Als er von Aubreys Übelbefinden hörte, fühlte er
wohl, daß er es verursacht habe; als er aber vollends erfuhr,
er sei wahnsinnig geworden, konnte er seine Freude kaum vor
denen verbergen, von denen er diese Nachricht erfahren hatte.
Er eilte nach der Wohnung seines früheren Gefährten, und
durch beharrliche Aufmerksamkeit, sowie durch Äußerung einer
großen Zärtlichkeit gegen den Bruder und Teilnehmer an
seinem Unglücke, gelang es ihm, allmählich bei Miß Aubrey
Gehör zu finden. Wer vermochte auch seinen Künsten zu
widerstreben? Er hatte Gefahren und Beschwerden zu erzählen -
sprach von sich selbst, als von einem Wesen, welches durchaus
mit keinem anderen auf der Welt, außer mit der, an die er
seine Worte richtete, übereinstimmend empfinde, erzählte
ihr, wie nur, seitdem er sie kenne, sein Dasein ihm der
Erhaltung wert geschienen habe, gleich als ob er nur ihren
schmeichelnden Worten und Tönen habe lauschen wollen - mit
einem Worte, er wußte die Schlangenkünste so trefflich zu
gebrauchen, oder es war vielmehr der Wille des Schicksals, daß
er ihre volle Zuneigung gewann. Da der Titel des älteren
Zweiges der Familie mit der Zeit auf ihn fiel, so erhielt er
einen ansehnlichen Gesandtschaftsposten, der ihm zur
Entschuldigung diente, daß er die Vermählung (trotz des
Bruders zerrütteter Gesundheit) beschleunigte, denn sie
sollte den Tag vor seiner Abreise nach dem Festland
stattfinden.
Aubrey versuchte, als ihn die Vormünder und der Arzt
verlassen hatten, die Diener zu bestechen, doch vergebens! Er
verlangte Feder und Tinte. Sie wurden ihm gereicht; er schrieb
einen Brief an seine Schwester, in dem er sie beschwor, so
wert ihr ihre eigene Glückseligkeit, ihre eigene Ehre und die
Ehre derer sei, die nun im Grabe schlummerten, aber sie einst
als die Hoffnung ihres Hauses in ihren Armen hielten, nur um
wenige Stunden eine Vermählung zu verschieben, auf die er die
schrecklichsten Verwünschungen ausschüttete. Die Diener
versprachen ihm, den Brief zu bestellen, übergaben ihn aber
dem Arzte, der es für besser hielt, das Gemüt der Miß
Aubrey nicht noch mehr durch das zu ängstigen, was er für
Anfälle eines Wahnsinnigen hielt.
Die Nacht verstrich den geschäftigen Bewohnern des Hauses
ohne Ruhe, und Aubrey hörte mit einem Entsetzen, das man sich
eher vorstellen als beschreiben kann, die Zeichen geschäftiger
Vorbereitungen. Der Morgen kam, und das Geräusch der
anfahrenden Wagen berührte sein Ohr. Aubrey geriet ganz außer
sich. Die Neugier der Diener besiegte endlich ihre
Wachsamkeit; sie stahlen sich allmählich weg und ließen
Aubrey unter der Aufsicht eines alten schwachen Weibes. Er
benutzte diese Gelegenheit. Mit einem Sprunge war er aus dem
Zimmer, und in einem Augenblicke stand er in dem, wo sich
alles zur Feierlichkeit versammelt hatte. Lord Ruthven war der
erste, der ihn bemerkte; er trat sogleich zu jenem hin,
ergriff ihn heftig beim Arme und riß ihn, sprachlos vor Wut,
mit sich aus dem Zimmer. Auf der Treppe raunte ihm Lord
Ruthven ins Ohr: "Erinnern Sie sich Ihres Eides, und
bedenken Sie, daß, wenn Ihre Schwester nicht heute meine
Gemahlin wird, sie entehrt ist! Die Weiber sind schwach!"
- Mit diesen Worten drängte er ihn gegen seine Diener hin,
welche, durch das alte Weib aufgeregt, ihn zu suchen gekommen
waren. Aubrey konnte sich nicht länger aufrecht erhalten.
Seine Wut, die keinen Ausbruch fand, hatte ein Blutgefäß
zerrissen, und er wurde zugleich zu Bette gebracht. Dies wurde
indessen seiner Schwester verschwiegen, welche bei seinem
Eintritt nicht zugegen gewesen war, denn der Arzt wollte sie
nicht beunruhigen. Die Vermählung wurde vollzogen, und Braut
und Bräutigam verließen London.
Aubreys Schwäche nahm immer mehr zu; der Blutverlust
erzeugte Symptome des herannahenden Todes. Er wünschte,
seiner Schwester Vormünder möchten zu ihm gerufen werden,
und als die Glocke Mitternacht geschlagen hatte, erzählte er
alles, was die Leser auf den vorstehenden Blättern gefunden
haben, und starb augenblicklich.
Die Vormünder eilten fort, Miß Aubrey zu retten, allein,
es war zu spät. Lord Ruthven war verschwunden und Aubreys
Schwester hatte den Durst eines Vampyrs gestillt.
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