Der Baron des Schmerzes

Gilles de Rais

 

1404 - 1440

 

Französischer Edelmann, der an der Seite von Jeanne d'Arc im 14. Jahrhundert die Engländer aus Frankreich jagte und sich als Privatier seinen extremen Leidenschaften hingab: das Sammeln von Knaben aus der Umgebung, deren Vergewaltigung, Folterung, Enthauptung, Verstümmelung und abermaligen Vergewaltigung. In allerlei schwarzen Messen opferte er allerlei Kinder, irgendwelchen scheußichen Dämonen. 
Nachweisen konnte man ihm 140 Morde, aber man war sich sicher, daß (aufgrund der Entvölkerung der Region) mindestens 400 Menschen von ihm und seinen Spießgesellen getötet worden sind.


"...und daß diese Kinder von ihnen auf unmenschliche Weise gewürgt, getötet, dann zerstückelt und verbrannt und im übrigen auf schändliche Weise gequält worden seien; daß besagter Angeklagter Gilles de Rais die Leichen dieser Kinder in verdammenswerter Weise bösen Geistern geopfert habe, und dass Gilles mit besagten Kindern, Knaben wie Mädchen, einmal während sie noch lebten, ein andermal nach ihrem Tode und zuweilen während sie starben, in grässlicher und niedriger Weise die Sünde der widernatürlichen Unzucht getrieben habe, wobei er bei den Mädchen die natürliche Leibesöffnung verschmähte..."
(Auszug aus den Prozessakten gegen Gilles de Rais)

 

Die alte französische Legende vom bösen Blaubart, der nachts die kleinen Kinder holt, hat sich schon lange mit den realen Taten eines Mannes zu einem unteilbaren Ganzen verquickt: Gilles de Rais, Marschall von Frankreich, Kampfgenosse der Johanna von Orleans. Er war ein verschwenderischer und seinen Leidenschaften ergebener Mensch. Um seinen Ausschweifungen nachkommen zu können, widmete er sich der schwarzen Magie und tötete in Ritualen, bei denen er seine sadistische und nekrophile Ader befriedigte. 

 

1404 in der Bretagne geboren, war der vermögende Baron bereits 1425 eine feste Größe am Hofe Karls VII. Während die Briten große Teile Frankreichs eroberten, half Gilles de Rais dem Monarchen sein Gesicht und seine Macht zu wahren, indem er Geld stiftete und auf eigene Kosten Truppen aushob, an deren Spitze er die Städte Anjou und Maine erfolgreich gegen die Engländer verteidigte. Als Gefährte der Johanna von Orleans tat sich Gilles de Rais bei nahezu allen spektakulären Schlachten hervor. Der "brave und kühne Hauptmann", wie ihn zeitgenössische Chroniken beschreiben, dem man eine Vorliebe für das Aufhängen kriegsgefangener Engländer nachsagte, erhielt für seine Tapferkeit vom König den Titel "Marschall von Frankreich"

 Er zeichnete sich durch einen rückhaltlosen Einsatz aus. In historischen Dokumenten wird dies immer wieder hervorgehoben: "Gilles vollbrachte zu seiner Zeit große Heldentaten", er schlug sich besonders "kühn und tapfer", vor allem in der entscheidenden Schlacht gegen das englische Heer am 7. Mai 1429 bei der Festung Les Tourelles.


Vielleicht ist ein Bericht, der über ihn und in seinem Namen verfasst wurde treffend, der ihm die Worte über Jeanne D'Arc in den Mund legte:


"Nie darf man ihrem Willen widerstreben
man muß stets gehorchen dem, was ihr gefällt,
was ihre Stimme für Befehl mag geben
."


Mag auch ein erster innerer Widerstand in diesen Worten anklingen, bleibt er Jeanne und dem frisch gekrönten König Karl VII zunächst noch treu. Er wird geehrt und geachtet und unterwirft weitere aufständische französische Städte im Namen des Königs.
Das Glück wendet sich in der Folgezeit. Der Hof intrigiert, Jeanne wird in neuen Kämpfen verwundet und gerät schließlich in Gefangenschaft. Ihr Zauber, ihre Inspiration scheinen gebrochen. Sie wird verraten und im November 1430 an die Engländer regelrecht verkauft.
Gilles irrt, in ununterbrochene Kämpfe verwickelt, drei Jahre orientierungslos durchs Land. Ein eventuell möglicher Versuch von ihm, die Jungfrau noch zu retten, wird vom undankbaren und zwiespältigen König nicht einmal halbherzig unterstützt. 1432, ein Jahr nach der erschütternden und aufsehenerregenden Verbrennung Jeannes, kommen erste vorsichtige Beschuldigungen auf, im Umkreis de Rais seien Kinder verschwunden. Vermutlich "demoralisiert" de Rais in fortschreitendem Maß. Es wird vermutet, dass er sich in dieser Zeit mit schwerwiegenden räuberischen Überfällen über Wasser hielt. Die späteren Geständnisse de Rais´ beweisen aber, dass er schon vor 1432 "mehrere Kinder in großer Zahl tötete und töten ließ". Durch den Tod seines Großvaters kommt er an dessen Burg und großes Vermögen.


Mit 26 Jahren zog sich Gilles de Rais auf das Schloß Tiffauges zurück und pflegte dort einen derart ausschweifenden und luxuriösen Lebensstil, dass er bald einen Großteil seiner Ländereien verkaufen musste. 
Nach eigenem Bekunden war es ein Werk des römischen Historikers Suetonius, das ihn zu vermutlich mehreren 100 Lustmorden anregte. Der Geschichtsschreiber hatte ein Buch über die Ausschweifungen römischer Cäsaren geschrieben. Bei seinem Prozess in Nantes erklärte de Rais :

 

 "Das Buch war mit Abbildungen versehen, auf denen das Treiben heidnischer Kaiser dargestellt war; und ich diesem feinen Buche, wie es Tibenus und Caracalla und andere Kaiser mit Kindern trieben, und es ihnen besonderes Vergnügen bereitete, sie zu quälen. Das erweckte in mir Wunsch, sie nachzuahmen, und noch am gleichen Abend tat ich das, was mir auf den Abbildungen vorgemacht wurde." 


Sein erstes Opfer war ein Knabe. Er erwürgte das Kind und schlug ihm die Hände ab. Dann riss er dem Knaben das Herz und die Augen heraus. Das Blut bewahrte er auf, um damit okkultistische Texte zu verfassen. Fortan beauftragte er seine Vertrauten mit der Aufgabe, Kinder zu entführen. Und die Entführungsfälle nahmen ungeheure Ausmaße an. Wenn de Rais mit seinem Gefolge von seiner Festung Tiffauges nach Schloß Camptoce oder zum Kastell von La Suze reiste, fehlten im entsprechenden Gebiet am nächsten Tag unzählige Kinder. Er vergewaltigte seine Opfer; schlitzte sie dann auf und wühlte in den Eingeweiden. 
Doch schon bald langweilte es Gilles de Rais, seine Lust an lebenden oder sterbenden Menschen zu befriedigen. Seine Raserei nahm immer häufiger nekrophile Züge an, und er veranstaltete regelrechte Schönheitswettbewerbe mit den aufgespießten und geschminkten Köpfen der Kinderleichen. Die Straflosigkeit schien de Rais indes gesichert. Im Feudalsystem des 15. Jahrhunderts wäre wohl kein Bauer und kein Mitglied der niederen Stände lebensmüde genug gewesen, seinen Herrn, der ihn mit einem Wort den Galgen bringen konnte, eines Verbrechens zu bezichtigen. 


Jean de Malestroit, dem Bischof von Nantes, waren schon seit vielen Jahren Klagen von Angehörigen verschwundener Kinder zu Ohren gekommen. Er nahm heimlich Ermittlungen gegen den Baron und Marschall Frankreichs auf; hatte jedoch keine rechtliche Handhabe, gegen den Mörder vorzugehen. Nachdem Gilles de Rais wegen der Entführung eines Großgrundbesitzers beim König in Ungnade fallen war; wurden von den kirchlichen Komissären auch Aussagen zu seinen Untaten aus der Bevölkerung zusammengetragen. Im Jahre 1440 fand man bei der Durchsuchung seines Schlosses zahlreiche Leichenteile und Beweisstücke. Erst ab 1440 begannen die Gerichtsinstanzen der Bretagne zu arbeiten. Es gab Ermittlungen und Zeugenaussagen. Aber Jahre lang konnte er ungehindert morden. Kinder, die zu de Rais´ Schloß geschickt wurden, verschwanden, ohne dass dieser sich auch nur Mühe geben musste, diese Tatsache zu verschleiern. De Rais´ fühlte sich anscheinend vollkommen sicher. Immerhin hatte er dieses Geschäft des Mordens an Kindern nunmehr seit acht Jahren betrieben, und er hatte mächtige Gönner. Aber sein Gönner La Tremoilles wurde von Yolanda von Aragon bereits 1433 aus dem Land gejagt. Offensichtlich war dies der Zeitpunkt, von dem an de Rais´ in vollkommene innere Auflösung geriet und ohne Widerstand ohne Unterbrechung Kinder mordete, ohne belangt zu werden. Er befand sich, wie Reliquet schreibt, in einer "Ekstase des Größenwahns". 

De Rais begann, sich eine Garde von "mehr als 200 Berittenen mit Pagen und Schildknappen" zu halten und lebte in einem beispiellosen Luxus, den er durch dauernde Verkäufe seiner Ländereien finanzierte. 1435, mitten in seinen orgiastischen Massenmorden, beschloss de Rais die Gründung einer prachtvollen Stiftskirche in Machecoul, ausgerechnet "zum Gedenken an die unschuldigen Kinder von Bethlehem, zum Heil und zur Errettung seiner Seele".


Ob dies reuevollen Anwandlungen oder einem grenzenlosen Zynismus entsprungen ist, muss dahingestellt bleiben. Jedenfalls stattete de Rais diese Kirche nicht nur mit ungeheurem Pomp aus, sondern unterhielt ein wahres Heer von Geistlichen. Die Kleriker begleiteten ihn von nun an auf seinen Reisen, in Chorhemden und sakralen Prunkgewändern. Zeitgenossen fanden dies einen "wider alle Vernunft unmäßigen Aufwand". Offensichtlich erkaufte sich de Rais mit unmäßigen Einkäufen, Ausstattungen und Ausbauten das Schweigen der Handwerker der Umgebung und umgab sich auf Festen, Feiern und Gelagen mit "nichtsnutzigem Volk".
Inmitten dieses orgiastischen Taumels wurde er gesehen, wie er oft "in aller Frühe ganz allein durch die Gassen" schlich. Wenn man mit ihm diskutieren wollte, "antwortete er eher wie ein Verrückter als wie ein Mensch, der bei Sinnen ist".


Ab 1435 ging sein Vermögen allmählich zu Ende. Notpfändungen wurden zur Tagesordnung. Seine Erben machen eine Eingabe bei Papst Eugen IV., der die Errichtung der Stiftskirche daraufhin nicht sanktionierte. Der König mischte sich ein. Karl VII. untersagte de Rais´ weitere Veräußerungen von Ländereien. Dieser konnte von nun an überhaupt keine rechtsgültigen Verträge mehr abschließen, außer aber in der Bretagne selbst, die diesem Edikt von Karl VII. nicht unterlag. Gilles verlegte sich ab 1437 wieder ganz auf den Raub als Einnahmequelle. Gelegentlich wurde bekannt, dass er Skelette aus seinem Schloss wegschaffen ließ.


Der Hexenmeister


Angeblich soll sich de Rais in diesen Jahren intensiv mit Alchemie beschäftigt haben. In den Gerichtsakten ist von einem "gewissen Ritter aus Anjou" die Rede, der wegen "Ketzerei gefangen" saß und de Rais "ein gewisses Buch über die Kunst der Alchemie und die Beschwörung der Dämonen" überlassen haben soll. Gilles hat vor Gericht zugegeben, diesen Ritter nicht nur gehört, sondern sein Buch gelesen und diesem zurückgegeben zu haben. Es wird vermutet, dass erste Begegnungen mit diesem "Ritter" schon 1426 stattgefunden haben sollen. Von den zahlreichen "Alchemisten" und Hexenmeistern, die de Rais immer wieder anwarb, sollen zahlreiche nichts als Schwindler gewesen sein. Jedenfalls führte de Rais auch öffentliche alchemistische Experimente in Orleans durch. De Rais bestand vor Gericht darauf, er habe niemals "böse Geister beschworen". Er hätte vielmehr bei seiner Verhaftung kurz vor einem großartigen Durchbruch gestanden, einem "entscheidenden Erfolg". 

Dennoch suchten seine Bediensteten ab 1434 oft nach "Beschwörern der Dämonen oder bösen Geister" im Lande; manche dieser "Beschwörer" waren ihm insoweit behilflich, als sie ihm die Opfer zutrieben. Aber es fanden auch offensichtliche schwarzmagische Rituale statt, indem "der Kreis und die Schriftzeichen gelegt wurden", mit dem der "Meister Aliboron" beschworen werden sollte. 

De Rais gestand vor Gericht, er sei "bei dieser Art von Beschwörung, wenn man den Teufel sehen, mit ihm sprechen und einen Pakt mit ihm schließen will", dabei gewesen. 1439 lieferte de Rais einem 23jährigen italienischen Magier, einem "tonsurierten Geistlichen", der "Poesie, Geomantie und andere Wissenschaften und Künste" studiert hatte, "in einem Glase Hand, Herz, Augen und Blut eines kleinen Knaben", damit der Dämon "nun selbst erscheine". Gilles, der sich verzweifelt zu mühen schien, erschien dieser Dämon, mal "dick wie ein Hund", mal "in Gestalt eines schönen jungen Mannes" jedoch nie persönlich - soweit aus den Gerichtsunterlagen ersichtlich.
Aber Gilles trieb seine sexuell-schwarzmagischen Praktiken immer weiter, denn er "rühmte sich manchmal", wie ein Zeuge berichtete, "daß er mehr Lust darin findet, Knaben und Mädchen zu töten oder ihnen den Hals abzuschneiden oder sie töten zu lassen und sie schmachten und sterben zu sehen, als wenn er Unzucht mit ihnen triebe".
Nur die Kinder seiner Kantorei nahm er aus. Das Blut der anderen aber floss in Mordorgien "in Strömen über den Fußboden". Die schrecklichen sexuellen Akte während dieser Gräuel bleiben hier unerwähnt. Es bleibt nur, um den Bezug zu den mexikanischen Mysterien herzustellen, aus den Zeugnissen seiner Mordkumpane zu zitieren, dass de Rais nicht nur die abgeschnittenen Köpfe seiner Opfer küsste, sondern auch "auf grausamste Art" "ihre Leiber öffnen" ließ und sich an dem "Anblick der inneren Organe" "erfreute". Er hatte "seine Lust daran, sie sterben zu sehen, und er lachte darüber".


Das Ende


Aber allmählich rückten Gläubiger und Feinde näher. De Rais musste, bevor seine Burg eingenommen wurde, hektisch Leichen und Skelette entfernen lassen. Nach seiner Verhaftung war es de Rais nicht möglich, die große Zahl seiner Opfer zu beziffern. Nur die durch Leichenfunde belegte Zahl belief sich auf 140. 

Er beschäftigte Kinderfänger und lockende "Hexen", die die Opfer meist aus der ganz armen Bevölkerung "rekrutierten". Es waren viehhütende Kinder, Kinder von Dienern, Bauern, Kinder, die zum Apfelernten oder Brotholen gegangen waren. All die Jahre über konnte niemand dieser einfachen Leute gegen diesen großen Mann eine Anklage wagen, auch wenn die Beweise schon längst erdrückend wirkten. Und wirklich wurde ihm nur ein plumper Überfall in einer Kirche zum Opfer. Taktierend wich Gilles seinen Gegnern aus, beging seine letzten und furchtbarsten Mordtaten, während in die Anklageschrift wegen des Überfalls nun auch die Morde, "ungeheure Verbrechen", einbezogen werden. Herzog und Bischof handelten nun endlich zusammen, griffen den verschanzten de Rais an und zwangen ihn zur Aufgabe.


Die ab September 1440 begonnenen ernsthaften Untersuchungen förderten Asche von Leichen und Wäschestücke zutage. Der Bischof beauftragte einen Inquisitor, die Ermittlungen weiter zu treiben. 

Am 8. Oktober 1440 wurde de Rais förmlich des Massenmordes angeklagt, aber auch der "Dämonenbeschwörung und Ketzerei". 

Am 15. Oktober gestand de Rais vor Gericht, angeblich "aus freien Stücken". Er bat bald darum, alles sagen zu dürfen, um einer inquisitorischen Befragungsmethode dieser Zeit, der "peinlichen Befragung" zu entgehen. Im Nebenzimmer lagen bei seinen Geständnissen die Folterwerkzeuge stets bereit. Doch de Rais redete ohne Unterlaß, vielleicht sogar erleichtert.
Wehleidig und in beispielloser Weise zynisch und bigott, verlangte er zum Schluss, vor seiner Hinrichtung, dass er öffentlich, "in gemeiner Sprache" - damit auch das Volk verstehen konnte - vernommen werde, "zur Ermahnung aller Familienväter, daß sie wachen über ihre Kinder". 

Seine Schilderungen erschienen den Zuhörern allerdings dann allzu "genüßlich".


Am 26. Oktober 1440 wurde de Rais in Biesse gehenkt. Sein Körper wurde anschließend verbrannt.