Salve Vlad Tepes, Woiwode der Walachei!

Ihr wundert Euch über diesen Brief Woiwode? Und Ihr tut recht daran. Welchen Sinn macht auch ein Brief, der an eine Person gerichtet ist, welche seit über 500 Jahren tot ist?

Zugegeben, solch ein Brief scheint nicht viel Sinn zu machen. Aber seid Ihr wahrhaftig tot? Lebt Ihr nicht in Rumänien als heldenhafter Kriegsherr weiter, als harter, unbarmherziger und doch überaus gerechter Landesfürst, in dessen Land man einen goldenen Pokal wochenlang auf dem Brunnenrand eines öffentlichen Marktplatzes unbeaufsichtigt stehen lassen konnte, ohne daß das wertvolle Kleinod auch nur berührt worden wäre?

Warst Du nicht jahrelang ein Bollwerk gegen die Flut der Türken? Und wurdest Du durch Bram Stoker, jenen irischen Schreiberling, nicht wahrhaft unsterblich?

Zumindest Dein Name?

Verzeih, wenn ich die förmliche Anrede beiseite lasse. Aber Du bist mir so vertraut, wie ein guter Freund. Darum gestatte mir bitte das vertrauliche "Du". Welcher zivilisierte Mensch hat Deinen Namen nicht schon vernommen? DRACULA! Nun gut, ich gebe zu, die meisten nennen ihn nur in Verbindung mit dem untoten Grafen. Dem Nosferatu!

Aber Dein Name lebt. Und selbst dieser irische Schriftsteller verschweigt in seinem Roman, welcher Dir zum Weltruhm verhalf, nicht Deine ruhmreiche Vergangenheit. Auch wenn er sie ein wenig abänderte. Doch gerade durch diesen Roman, rücktest auch Du, der Woiwode der Walachei, wieder in das Bewußtsein der Menschen. Und viele von ihnen sehen in Dir nicht nur den bluttrinkenden Grafen, der mit einem albernen Cape über die Friedhöfe und durch Ruinen zieht, um nach Jungfrauen Ausschau zu halten, welche er in den Hals beisst, um ihr Blut zu trnken.

Nein - diese Leute sehen den grossen Feldherrn und Regenten. Nun gut - Deine Methoden waren auch für die damalige Zeit recht grausam. Aber wer musste denn damit rechnen auf dem Pfahl zu enden? Der ehrliche Kaufmann? Der rechtschaffende Bauer oder Handwerker? Nein - Verbrecher und Betrüger; Heuchler und Lügner; Mörder und Verräter waren es, die Du pfählen ließest. Und natürlich die feindlichen Soldaten, die Dein Land überfielen und es mit Tod und Feuer überzogen.

Nach heutigen Maßstäben hast Du fürchterliche Taten begangen. Nach den Maßstäben Deiner Zeit hast Du für Ruhe und Frieden für jeden ehrlichen Bürger Deines Landes gesorgt. Du hast nicht, wie Deine entfernte Verwandte aus Ungarn, Elisabeth Báthory, Deiner perversen Gelüsten wegen gemordet, sondern aus politischem Kalkül.

Ich gebe gerne zu, daß ich zu Deiner Zeit nicht in Deinem Lande hätte leben mögen. Doch das liegt daran, daß sich das Leben in den vergangenen Jahrhunderten derart gewandelt hat, daß heutzutage wohl kaum noch jemand so rechtschaffend und brav ist, daß er unter Deiner Herrschaft nicht zu leiden hätte.

Doch was sind Deine Taten gegen die Gräuel der Inquisition oder gegen das, das dieser kleine schnauzbärtige Österreicher einem ganzen Volk und jedem, der ihm nicht passte, angetan hat?

Versteh mich bitte nicht falsch Vlad - ich möchte Dich auf keinen Fall verherrlichen. Aber es widerstrebt mir, Dich so zu verdammen, wie es viele tun.

Ich habe Verständnis für Deine damalige Lage. Und wer vermag schon zu sagen, was aus Deinem Land geworden wäre, hättest Du anders gehandelt und regiert.

Es gibt viele Diskussionen darüber, ob du nun ein kranker Sadist warst oder nur ein Regent, der dies alles auf sich nahm, um sein Land zu erhalten. Selbst heute noch, nach all diesen Jahrhunderten, reden sie darüber und werden es nicht müde, sich über Dich ihren Kopf zu zerbrechen. Wer kann das schon von sich behaupten?

Du siehst, ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Dein Name lebt fort!

Und es stirbt nur der endgültig, der vergessen wird!

Und Du Vlad "Tepes" Dracula bist nun wirklich alles andere als vergessen!

Folglich lebst Du weiter. In uns allen und durch uns alle. Und wer weiss, vielleicht ist dieser Brief an Dich doch nicht so aberwitzig, wie er anfangs schien.

Ich wollte Dich nur wissen lassen, daß Du nicht für alle nur der blutrünstige Wahnsinnige oder der bluttrinkende Untote aus Romanen und Filmen bist.

Es gibt auch welche unter uns, die Dich als das sehen, was Du warst oder bist.

Als ein Kind Deiner harten und grausamen Zeit, welches seine Kindheit und Jugend als Geisel in einem fremden Land zubringen musste, welches seinen rechtmässigen Anspruch auf den Thron der Walachei mit List und Gewalt durchsetzen musste und dem es gelang, sein Land für einige Zeit zu einem der sichersten der damaligen Welt zu machen. Zumindest für diejenigen Bürger, die rechtschaffend und treu waren. Einem Herrscher, der ein Bollwerk für die westliche Christenwelt gegen den Ansturm der Osmanen geschaffen hat!

Und für diese Leistungen, oh Woiwode, zolle ich Dir meinen Respekt, auch wenn viele das nicht verstehen können.

Gerne hätte ich Dich kennen gelernt, wenn auch in sicherem Abstand! (Ein Umstand, welchen Du mir hoffentlich nachsiehst)

Ich schließe nun diesen Brief, denn ich habe Dir gesagt, was ich Dir zu sagen hatte und hoffe, Du verzeihst mir meine Anmaßung!

 

Der Deine

Heshthot Sordul, im Juno des Jahres 2002

 

 

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