Quelle: sueddeutsche.de

 

 

Ich komme mit der Welt hier nicht klar": Der frühere Herr Berbig, heute letzter Nachfahre der Dracula-Dynastie, vor Schloss Schenkendorf

 

In Brandenburg lernt Dracula das Fürchten

Wie ein ehemaliger Barmixer zu Fürstenehren kam und sich mit einem Vampirmuseum in der ostdeutschen Provinz ruinierte.
Von Andrea Exler

(SZ vom 17.8.2001) - Es war heiß auf dem Friedhof in Bukarest. Ottomar Dracula Prinz Kretzulesco folgte dem Sarg seiner Adoptivmutter, die fast hundert Jahre alt geworden war. Vier Männer hatten den Sarg auf einen Holzkarren geladen, der von einem schwerfälligen Gaul gezogen wurde. Polternd bewegte sich das Gespann vorwärts.

Der Pope schwenkte das Weihrauchfass. Der Zug erreichte die Familiengruft, die Totengräber begannen das Grab auszuheben. Immer wieder kamen Gebeine zum Vorschein, der Pope sammelte sie ein, segnete sie und warf sie in eine Plastiktüte. Prinz Kretzulesco wurde übel. Am gleichen Abend flog er zurück nach Berlin.

„Die Prinzessin war eine kleine, sehr gepflegte alte Dame, die fließend Deutsch sprach“, sagt der Prinz. Besser bekannt ist er als Graf und Nachfahr des 1477 verstorbenen Vlad Dracula Tepesz, der nach einer Schlacht gegen ein osmanisches Heer das Blut seiner Feinde getrunken haben soll und Gefangene pfählen ließ.

Offiziell trägt Kretzulesco den Titel eines Grafen nicht, und auch Prinz ist der gebürtige Berliner erst seit 1987. Davor hieß er Ottomar Berbig und verdiente in West-Berlin seinen Lebensunterhalt mal als Konditor, mal als Barmixer, dann als Fachmann für Entrümpelungen und schließlich als Antiquitätenhändler.

Die rumänische Prinzessin Dracula Caradja Kretzulesco, letzte Blutsverwandte des transsilvanischen Fürsten, der den Schriftsteller Bram Stoker zu seinem berühmten Vampir-Roman inspirierte, adoptierte Berbig, einen alten Freund der Familie, wenige Jahre vor ihrem Tod. „Meine Adoptivmutter hatte keine eigenen Söhne und wollte so den Namen bewahren“, sagt der 61- Jährige und präsentiert stolz ein Stammbuch aus dem Jahr 1901, das die Geschichte der Fürsten der Walachei, zu denen der historische Dracula gehörte, bis 1290 zurückverfolgt.

Rodolphe hieß der Begründer des Herrschergeschlechts, und so heißt nun auch der adoptierte Erbe: Ottomar Rodolphe Vlad Dracula Prinz Kretzulesco. „Das Stammbuch ist das wichtigste Erbstück, der Kretzulescos“, sagt der Prinz, der in Adelskreisen mit „Hoheit“ angesprochen wird. Was ihm sonst noch blieb, sind ein paar Burgruinen und verfallene Kirchen in Rumänien und eben der illustre Name.

Der wurde denn auch zur einzigen Einnahmequelle Kretzulescos, leider einer sehr unzuverlässigen. Er ist zwar Inhaber der deutschen Marken „Dracula“, sowie „Prinz Dracula“ und „Schloss Dracula“, verlor aber jüngst vor Gericht den Namensstreit gegen ein Schnapsfirma, die „Dracula Liqueur“ vertreibt.

Vor sieben Jahren ließ er sich im brandenburgischen Schenkendorf nieder. In der kleinen Gemeinde erwarb er ein Schloss mit einem 16 Hektar großen Grundstück. Bis zur Wende hatten auf dem Gut aus dem Besitz Friedrich Wilhelms I. DDR-Grenzhunde und deren Ausbilder gehaust. Kretzulesco wollte das Gemäuer zur Grusel-Attraktion für Touristen umfunktionieren und von dort aus seinen Namen vermarkten.

„Das Schloss frisst mich auf“

Aus dem Gittertor vor dem Schloss wachsen Brennesseln, eine wilde schwarze Katze reckt sich neben dem Schild „Achtung bissiger Hund“. Umständlich schließt der Schlossherr auf. Im Streichelzoo für Kinder gleich hinter dem Eingang weiden Schafe, Ziegen und Ponys. Die Tiere stehen etwas verloren im kniehohen Gras, denn an diesem Sommernachmittag hat kein Tourist den Weg bis nach Schenkendorf gefunden. Das Restaurant ist geschlossen, und im Vampir-Museum fangen Versatzstücke aus der Historie des Untoten Staub.

Bis vor zwei Jahren gehörte zum Programm für Schlossbesucher ein als Vampir Kostümierter, der während des Rundgangs einem Sarg entstieg. Als eine Amerikanerin einen Herzinfarkt erlitt, wurde die Nummer gestrichen. Ohnehin öffnet Kretzulesco das Museum nur noch selten.

„Das Schloss frisst mich auf“ sagt der Prinz, während er die knarrenden Türen einer Leichenkutsche aus dem vorigen Jahrhundert aufstößt. Anfangs waren zu den Ritterspielen, Walpurgisnächten und Blutspende-Partys, die er gemeinsam mit dem Roten Kreuz veranstaltete, bis zu 12000 Schaulustige gekommen. In der stagnierenden Region schien sich Draculas Anwesen zur Geldquelle für den Besitzer und die Gemeinde zu entwickeln.

Doch der Schlossherr hatte die Rechnung ohne die Dorfbewohner gemacht. Zum Verhängnis wurde ihm ein neuer Nachbar, der in unmittelbarer Nähe des Schlosses einen leer stehenden ehemaligen Schweinestall gekauft und zum Einfamilienhaus umgebaut hatte. Ihn störte der Lärm bei Kretzulescos Festivitäten. Nach zahllosen Anzeigen bei der Polizei und einer offiziellen Messung des Geräuschpegels erzwang er, dass jede Open-Air-Veranstaltung von den Behörden vorab genehmigt werden muss. Außerdem darf der Prinz nur noch zwölfmal im Jahr feiern.

„Heute stecke ich wesentlich mehr Geld in das Anwesen, als ich einnehme“, klagt Kretzulesco, der zwei erwachsene Töchter hat, die nicht „Dracula“ heißen wollen. Das Schloss ist noch genauso baufällig wie zu DDR- Zeiten, im großen Saal im Erdgeschoss lagern alte Möbel, die aus Kretzulescos früherem Leben als Antiquitätenhändler stammen, und im Keller stapelt sich Sperrmüll. Zu den Finanznöten kamen im vergangenen Jahr zehn Brandanschläge auf sein Gut. An die Schlossmauer sprühten Unbekannte „Ausländer raus“. Brandenburg lehrte Dracula das Fürchten.

Schließlich drohte der Prinz mit Wegzug. Geeignete Schlösser in Bayern und sogar in England hatte er bereits ausfindig gemacht. Da gründeten einige Schenkendorfer eine Bürgerinitiative, die im Ort mehrere hundert Unterschriften sammelte, um den Gemeinderat zu mehr Kulanz im Umgang mit dem Zugereisten zu bewegen. Seither haben sich die Gemüter zwar ein wenig beruhigt.

Doch der erhoffte Touristenstrom bleibt aus. Wenn heute im Schloss das Telefon läutet, sind es nicht selten an schwarzer Magie Interessierte, die den Erben des Fürsten der Finsternis für einschlägige Zeremonien gewinnen wollen. „Mit diesen Teufelsleuten will ich nichts zu tun haben“, beteuert er.

Dafür setzt der geplagte Schlossherr neuerdings auf Astrologie. Kretzulesco beauftragte den Berliner Anwalt Hanns-Ekkehard Plöger, bekannt wegen seiner skurrilen Eingaben bei Gericht und einiger prominenter Mandanten, zu denen Julius Hackethal, der Verfechter der Sterbehilfe, zählte. „Ich lasse bei Konflikten astrologische Psychogramme erstellen, um mir über die Persönlichkeiten der Kontrahenten klar zu werden“, sagt Plöger.

Mit dem Psychogramm des Nachbarn, der den Prinzen immer wieder wegen Ruhestörung anzeigt, ist Plöger allerdings nicht weit gekommen. Der weigerte sich nämlich, dem Anwalt seine Geburtsstunde mitzuteilen. Derweil zeigt sich der Nachbar im ehemaligen Schweinestall kein bisschen versöhnlicher. „Wenn ich jünger wäre, würde ich aus Deutschland weggehen“, seufzt Prinz Kretzulesco. „Ich komme mit der Welt hier nicht mehr klar.

Gebietsreform (Quelle: faz.net)
Dracula ruft Fürstentum aus
Von Helmut Uwer aus dem Fürstentum Dracula
 
20. März 2002 Diskret hat die Hofkappelle auf der Galerie Platz genommen. Unsichtbar, aber unüberhörbar eröffnet sie das Zeremoniell. Unten entrollt Graf Dracula, in einen schwarzen Cut gekleidet, die blutrote Proklamationsurkunde und verkündet feierlich, während von der Decke der Putz zu bröckeln droht, dass er allen Hilfesuchenden seinen Schutz gewähren wolle: "Stets gewähre ich Schutz. Das gebietet mir der Auftrag, der mit meinem Namen verbunden ist.
Das neue Fürstentum wird eigene Autokennzeichen ausgeben, eigene Pässe inklusive Diplomatenpässe und eigenes Geld. Der Euro wird durch den Drac ersetzt. Die Steuern im Fürstentum sollen nur bei zwanzig Prozent liegen. Zum Abschluss der Zeremonie ertönt standesgemäß die Hymne. Noch muss es das Lied der Brandenburger tun, wie der Graf ernüchtert feststellt: "Meine haben sie nicht so schnell geschafft. Die eigene Hymne wird erst komponiert.“Neues FeuerwehrautoDoch der Mann, dessen Name mit Vampiren und Pfählen verbunden ist, ist nicht plötzlich zum Philanthropen geworden. Alles ist nur ein PR-Gag. Es geht um den Protest gegen die in Brandenburg nicht sehr beliebte Gemeindegebietsreform, gemäß der sich die kleinen Gemeinden zu größeren zusammenschließen sollen. Dazu gehört auch Schenkendorf südlich von Berlin, wo der Graf residiert und sogar ganz bürgerlich im Gemeinderat sitzt.
Das Dorf mit 1.200 Einwohnern will eigenständig bleiben, was eigentlich erst Gemeinden ab 5.000 Einwohnern zugestanden wird. Doch Bürgermeister Guido Friese (SPD) wehrt sich gegen diesen Zwang: "In diesen Genuss von Demokratie sind wir erst durch die Wiedervereinigung gekommen. Es solle nicht alles von oben bestimmt werden. Und dann verweist darauf, dass seine Gemeinde schuldenfrei sei und über ein blühendes Gewerbegebiet verfüge. Erst im letzten Jahr habe man ein Feuerwehrauto für über 150.000 Euro anschaffen können. Jetzt nutze man den berühmten Namen, um auf den Protest gegen die Gemeindegebietsreform aufmerksam zu machen, gegen die 80 Gemeinden Verfassungsklage eingereicht hätten.
Blutspendeparties
So wenig echt also die Ausrufung des Fürstentums war, so wenig echt ist auch der Graf selber. Er heißt eigentlich Ottomar Berbig und kommt aus Berlin. Doch in seiner Eigenschaft als Antiquitätenhändler lernte er irgendwann Ekatherina Olympia Prinzessin Kretzulesco kennen, die nun tatsächlich eine Nachfahrin des blutrünstigen Grafen ist. Die schloss ihn so sehr in ihr Herz, dass sie ihn adoptierte. Seither engagiert sich der Prinz aus Berlin-Schöneberg für seine neue Familie, als würde in seinen Adern schon immer blaues Blut fließen.
Nicht immer ist sein Kampf erfolgreich. Im vergangenen Jahr hat er einen Prozess um die Internet-Werbung seines Namens für Wein verloren. Erfolgreich war dagegen sein Kampf ums Überleben. Gegen Widerstand in der Gemeinde und einigen Brandstiftungen zum Trotz hat er sich behauptet. Und noch immer dürstet es ihn nach dem Blut seiner Gäste. Immer im Sommer bittet der Graf nämlich zur Blutspendeparty, deren "Erlös dem Roten Kreuz zugute kommt“. Ansonsten veranstaltet er mittelalterliche Ritterspektakel, Walpurgisnächte und Weihnachtsmärkte.