Untote in Rumänien


Legenden um Untote
20.11.2005
von Christiane Kirsch


Die Legenden um Untote halten sich hartnäckig in den rumänischen Bergdörfern. Noch heute werden oft Verstorbene ausgegraben und rituell erneut getötet. Keine einfachen Fälle für die Justiz, denn gegen den Aberglauben kann selbst ein Gesetz kaum etwas ausrichten.
Wir sind in der Walachei in Rumänien. Von hier stammt das historische Vorbild von Graf Dracula. Der spektakuläre Fall eines lebenden Toten, eines Untoten, dem man das Herz herausgeschnitten hat, hat uns hierher geführt. Zum Ethnologen Professor Mihai Fifor. In seinem wissenschaftlichen Videoarchiv zeigt er uns Szenen vom Tatort.

Gheorghe Marinescu präsentiert hier stolz die Mistgabel, auf der er das Herz seines verstorbenen Schwagers verbrannt hat. Der nämlich soll ein Moroi – ein Untoter gewesen sein.

O-Ton: Gheorge Marinescu
"Wir haben ihn aufgeschnitten, sein Herz herausgenommen und an der Wegkreuzung verbrannt. Die Asche haben wir dann ins Wasser getan und alle davon getrunken. Und deshalb sind wir alle wieder gesund geworden, die ganze Familie."

Dieses Ritual, erfahren wir, soll den Toten quasi noch einmal töten. Und ihm hinüberhelfen ins Jenseits. Außerdem soll es diejenigen retten, die der Untote nachts heimgesucht und krank gemacht hat.

Der Ethnologe nimmt uns mit nach Marotinul de Sus. Hier hat sich alles abgespielt. In diesem kleinen Dorf, 50 Kilometer von Professor Fifors Büro in der Kreisstadt entfernt. Er will sich am Tatort umhören. Will wissen, ob der Fall des angeblichen Untoten Petre Toma ein Einzelfall war. Wir fahren zum Friedhof. In einer Nacht im Januar haben sie hier das Ritual vollzogen. Als wir uns noch umsehen, kommen Dorfbewohner neugierig näher. Professor Fifor fragt die beiden, ob es hier außer Petre Toma noch weitere Fälle von Untoten gab.

O-Ton: Frau
"Ach was, das ist nicht der erste, seit ich jung hierher kam. Zum Beispiel dort drüben liegt einer, den sie aufgeschnitten haben."

Professor Fifor: "Aber woher wusste man, dass es Untote sind?"

"Weil die Verwandten, die Kinder krank geworden sind."

Wir begleiten den Ethnologen zum Grab von Petre Toma. Für die Dorfbewohner eindeutig ein Untoter, sagt der Professor: auch weil er später auch anders im Sarg gelegen habe als bei der Bestattung. Nicht mehr mit auf der Brust gefalteten Händen. Wir fahren in die Kreisstadt. Hier ist das Ritual längst ein Fall für den Staatsanwalt. Er hat Anklage erhoben wegen Grab- und Leichenschändung. Den Tätern drohen 3 Jahre Gefängnis. Prof. Fifor kann sich hier die Bilder der Exhumierung von Petre Toma ansehen.

O-Ton: Professor Fifor
"Die Fotos der Staatsanwaltschaft sehe sie zum ersten Mal. Sie sind sehr interessant für mich - sogar schockierend."

Man sieht den Toten im Sarg und neben ihm die Tatwaffe – einen Teil einer Sense. Der Fall ist klar: die Vollstrecker des Rituals haben auch gestanden, fühlen sie sich unschuldig. Und sie sind wütend auf die Tochter des angeblichen Untoten. Sie hat die Anzeige erstattet und die Presse eingeschaltet. Jetzt wird sie bedroht, hat Angst, will unerkannt bleiben. Und sie ist gekränkt, weil man die Bräuche im Fall ihres Vaters nicht eingehalten hat.

O-Ton: Tochter
"Sie hätten mich verständigen und den Bräuchen folgen müssen. Mit dem Pferd über das Grab gehen."

Von diesem Brauch hat der Professor bislang nur gehört. Er will mehr wissen. Fährt mit uns ins Dorf Bulzesti, auch das "Dorf der Untoten" genannt. Hier zeigt man uns den Pferdtest, auf dem Friedhof bei den Fledermäusen:

O-Ton:
"Wenn das Pferd über das Grab rübergeht, dann liegt kein Untoter drin. Aber wenn es nicht rübergeht, ist es einer. Dann wird er ausgegraben und aufgeschnitten."

Ion Popescu bringt sein Pferd in Position – Das aber zögert... ein Untoter zu unsren Füßen? Dann geht es doch übers Grab. Kein Untoter also, alles in Ordnung. Elena Birau kennt die Bräuche und zeigt, wie man mit der richtigen Zeremonie verhindern kann, dass ein Toter überhaupt zum Untoten wird. Das geht mit Spindeln aus Holz. Sie werden an die vier Ecken des Grabes gesteckt, mit einem Hanf-Faden verbunden, der wird angezündet und verbrannt.

O-Ton: Elena Birau
"So verbrennt er. Seine Seele verbrennt. Damit er nicht zum Untoten wird."

Fest steht: Der Fall von Petre Toma ist kein Einzelfall wie Polizei und Staatsanwalt behaupten. Und die Menschen hier in dieser ländlichen Gegend werden ihre Rituale auch weiter vollziehen, die ihnen die Regeln ihrer Tradition vorschreiben – ganz egal wie brutal Gesetz oder Behörden eingreifen. Davon ist Professor Fifor nach all unseren Gesprächen überzeugt. Und dann gibt er uns noch ausdrücklich mit auf den Weg: mit Vampiren hat das alles nichts zu tun – auch wenn wir in Rumänien sind.

(Quelle: mdr.de)