Zeitungsartikel zum Thema Vampirismus

 

Warum faszinieren uns aufgeklärte Menschen des Computerzeitalters noch immer die Dämonen der Nacht und die Mischung aus Sex, Blut und Horror. History-Autor Gerhard Wisnewski versucht eine Antwort zu finden. (Aus dem Magazin für Geschichte P.M. HISTORY, Ausgabe 4/2000)


Vampire

Eine schauerlich-schöne Reise ins Reich der Blutsauger

>"Willkommen hier in meinem Hause! Treten Sie frei und freiwillig herein". Er machte keine Bewegung, um mir entgegenzugehen. In dem Augenblick aber, da ich die Schwelle überschritten hatte, trat er rasch auf mich zu, ergriff meine Hand und drückte sie dermaßen, dass ich zusammenzuckte; dabei war seine Hand so kalt wie Eis, mehr wie die eines Toten als eines Lebenden<

So schilderte Bram Stoker in seinem berühmten Roman >>Dracula<< seine schreckliche Begegnung mit dem gleichnamigen Vampir. Obwohl sein Buch schon 1897 erschien, sind Vampire auch hundert Jahre später noch nicht out. Eine wahre Vampir-Manie schwappt derzeit über den Globus. Die Blutsauger geistern durch Roman Polanskis Musical >>Tanz der Vampire<< durch Romane (>>Bilanz der Vampire<<), durch Kinofilme (<<John Carpenters Vampire<<) und Dokumentationen (>>Dracula - der Blut saugende Vampir<<. Für Kinder gibt es das Hörspiel vom >>kleinen Vampir<<, in Rollenspielen wie >>Vampire-Live<< schlüpfen Menschen in die Maske von Vampiren, um >>eine Form von Untergrundgesellschaft<< zu bilden, >>verborgen vor den Augen der Menschheit<<.

Kein Zweifel: Tot ist der Vampir noch lange nicht, aber heißt das auch, dass er lebt?. Gibt oder gab es ihn wirklich, jenen untoten Gesellen, der sich des Nachts aus seinem Grab erhebt und seine Zähne in die weißen Kehlen schöner Frauen gräbt, um ihr Blut zu trinken?

>>Es scheint, dass jede vorchristliche Gesellschaft auf der Erde irgendeine Version einer Vampir-Sage als Teil ihres gemeinsamen Märchenschatzes kannte<<, meint der Vampir-Experte Steve Bernheisel. Bis hin zum antiken Assyrien, wo Archäologen auf Keramiken dargestellte Vampire fanden, darunter die Abbildung eines Vampirs, der mit einem Mann kopuliert.

In Russland hießen sie upir und upyr, in Albanien shtriga, in Griechenland ghello, drakos oder lamia, in Polen upiory, in China giang shi, im alten Peru canchus und pumapmicuc. In Deutschland gab es den >>Nachzehrer<<, einen Wiedergänger, von dem man glaubte, er ziehe andere Menschen in den Tod, indem er ihnen das Blut aussaugte: >>Da nach primitiver Anschauung Leben gleich Blut ist, kann die Vorstellung entstehen, der Tote sauge den Lebenden das Blut aus, indem er leibhaftig zurückkehrt und sich auf die Schlafenden legt<<, heißt es im Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens (1934).

Diese Form von unappetitlichen Bluttrinkern war noch meilenweit vom späteren Idealtyp des Blut konsumierenden Grafen entfernt. >>Viele der modernen Vampir-Konzepte tauchen in den mittelalterlichen Fabeln gar nicht auf<<, meint Bernheisel. Im bäuerlichen Russland konnten Vampire durch das grelle Sonnenlicht schreiben, der Vampir ders östlichen Europa war nicht unbedingt männlich, sondern entweder eine sehr alte oder eine sehr junge Frau. Auch Adelige waren ursprünglich kaum vertreten, vielmehr wurden eher Angehörige niederer Schichten als Vampire angeklagt - genauso wie als Hexen oder Zauberer.

Die Sagen wurzeln wohl in beunruhigenden Krankheitsbildern wie der Anämie (Ohnmachtsphasen, blasse Gesichtsfarbe, Müdigkeit, Kurzatmigkeit), Katalepsie (Starrsucht), Porphyrie (Lichtempfindlichkeit, offene Wunden, abnormes Haarwachstum, Hervortreten des Gebissens) oder gar Tollwut. Auf diese Idee kam der spanische Neurologe Juan Gómez-Alonso beim Besuch eines Vampir-Films: >>Ich sah den Film eher als Arzt, der einen schwierigen klinischen Fall zu lösen hat, denn als Zuschauer.<<

In der Tat zeigen Tollwutkranke ein ganzes Bündel von Symptomen, das dem Verhalten eines Vampirs verblüffend ähnelt, angefangen bei erstarrten Gesichtszügen und (manchmal blutigem) Schaum vor dem Mund über eine ausgeprägte Abneigung gegenüber Spiegelbildern, Wasser und intensiven Gerüchen (Knoblauch) bis hin zu panischer Angst vor Sonnenlicht. Ebenso auffällig sind eine übersteigerte Erregbarkeit (einschließlich Geschlechtstrieb) und die Neigung, andere Menschen zu beißen, die dann ebenfalls von der Krankheit befallen werden. Die nach dem Vampir-Biss einsetzende Verwandlung der Opfer wäre mithin nichts anderes als eine Chiffre für Ansteckung. Neben Fuchs und Wildschwein übertragen auch einige Fledermäuse die Krankheit.

Hier schließt sich der Kreis. Für Bram Stokers gräflichen Blutsauger aber, in dem er alle Merkmale des Vampir-Mythos fokussierte, fehlt noch eine wichtige Zutat: nämlich der bedrückend reale transsylvanische Fürst Vlad III., der im 15. Jahrhundert ein Schreckensregiment in der Walachei errichtete, und dessen Leben Stoker für seinen Roman ausführlich erforschte. Nach dem Drachenorden, dem Vlad III. angehörte, führte er den Beinamen Dracula. Seine Spezialität war die Pfählung: >>Das mit den Beinen an zwei starken Pferden gefesselte Opfer wurde mit Bedacht so aufgespießt, dass es nicht sofort starb<<, schreiben die Dracula-Kenner Raymond McNally und Radu Florescu (Buchtitel: Auf Draculas Spuren): >>Dracula ließ die Pfahlspitzen manchmal abrunden, um einen schnellen Tod zu verhindern, der ihn um das Vergnügen gebracht hätte, das ihm der Anblick des Todeskampfes seiner Opfer bereitete.<<

Wer es im Spätmittelalter mit Grausamkeit zur Meisterschaft trieb, schaffte es, sich in der brutalen, von Kriegen und Gemetzeln gezeichneten Zeit Respekt zu verschaffen. Einer solchen Gestalt mit heutigen Maßstäben zu begegnen, ist sinnlos. Ihr Verhalten ist nur aus dem historischen Kontext heraus zu verstehen. Die überlieferten Exzesse des Dracula, bei denen er zwischen Tausenden von Gepfählten gespeist haben soll, waren vielleicht weniger persönlicher Lustgewinn als vielmehr (ihre Authentizität vorausgesetzt) Teil einer psychologischen Kriegsführung. Dasa langsame Siechtum der Gepfählten war keine Erfindung Draculas, sondern begann schon in grauer Vorzeit, als man anfing Delinquenten an Bäumen oder Pfählen aufzuhängen.

Dracula, der türkischen Gesandten in seinem Schloss die Turbane an den Kopf nageln ließ, ging es dabei vor allem um die Propaganda: Dass den Feind angesichts dieser Grausamkeit von sich aus der Mut verlassen musste. Dass er sein Brot in das Blut von Gepfählten tauchte, mag ebenfalls zu den Tatsachen gehören. Ob dies wirklich aus pervertierter Grausamkeit geschah, bleibt dahingestellt. Ein grauenhafter Ruf konnte jedenfalls so viel bewirken, wie eine ganze Armee.

Draculas psychologische Kriegsführung war so erfolgreich, dass ihre Auswirkungen noch heute spürbar sind. Doch die wirkliche Gestalt von Vlad III. verblasst dahinter. Wanderer, Gesandte und Mönche verbreiteten die Schauergeschichten in ganz Europa, sodass der Fürst aus Transsylvanien zum Gruselstar mutierte. Vlad wurde zum Schreckensphantom seiner Zeit, und nachdem sich dieses Gespenst genügend von der Realität abgelöst hatte, war es reif, mit dem Bluttrinker aus den Volkssagen zu verschmelzen - dem Vampir.

Erst mit seinem >>Dracula<< hängte Bram Stoker dem rein gruseligen Vampir-Mythos einen gräflichen Mantel um und schuf so eine Mischung von Eleganz und Verderbtheit, von Adel und Abgrund. Dracula, der sich zum Angriff auf Großbritannien aufmachte, die Hochburg der Zivilisation, war ein derart unnachahmlicher Cocktail aus Grusel, Crime und dem Endkampf der Kulturen, wie er später vielleicht nur noch Orson Welles gelang: in seinem Hörspiel >>Krieg der Welten<< (1938), wobei er mit einem fiktiven Angriff der Marsbewohner halb Amerika in Panik versetzte.

Doch Aliens entfalteten schon immer einen beträchtlichen Charme auf die gruselsüchtige menschliche Psyche, nur dass in der Vorstellungswelt des Großbritannien von 1897 die Aliens bereits hinter den Karpaten wohnten. Sieben Jahre lang hatte Bram Stoker recherchiert und geschrieben, und sein Buch war deshalb kein Zufallserfolg. Vor allem wegen seiner letzten und brisantesten Zutat: Sex!

Stoker zielte genau und traf mitten in die moralinsaure Psyche der viktorianischen Briten: >>Halb durch Überlegung, halb durch Instinkt nahmen sie an, dass der Hang zur Revolution und der Geschlechtstrieb irgendwie zusammenhingen<<, schreibt die Encyclopaedia Britannica über die Menschen dieser Zeit. >>Deshalb unterdrückten sie die Sexualität, das heißt, in sich selbst und in ihrer Literatur, während sie sie innerhalb genau definierter Grenzen abschotteten.<<

Sex konnte mit besserem Gewissen genossen werden, wenn er in weit entfernte Länder verlegt, verschlüsselt und von Kreaturen praktiziert wurden, die - natürlich - das absolut Böse verkörperte, zum Beispiel Vampire. Dies hatte Bram Stoker verstanden und schuf mit Dracula nicht nur einen besonders guten Gruselroman, sondern gleichzeitig eines der erotischsten Bücher seiner Zeit: >>Alle Drei Mädchen hatten brillantweiße Zähne, die wie Perlen vor dem Rubin ihrer sinnlichen Lippen schimmerten. In meinem Herzen fühlte ich einen übertriebenen, brennenden Wunsch, von diesen roten Lippen geküsst zu werden<<, schilderte Bram Stoker seine Begegnung mit Draculas Harem und skizzierte damit wohl eine der schönsten erotischen Szenen viktorianischer Literatur. Und weiter: >>Ich konnte die zarte, bebende Berührung auf meinem überempfindlichen Hals spüren und die tiefen Abdrücke zweier scharfer Zähne ...>> Perfekter kann die Verschlüsselung einer Penetration kaum noch sein: Die Haut wird zum Jungfernhäutchen, der Zahn zum Penis und der Konsum von Blut zum letzten Akt der Verschmelzung.

Schon in der Bibel war Blut das Symbol der zwischenmenschlichen Beziehung. So besprengte Moses sein Volk mit Blut zur Bekräftigung des Bundes mit dem Herrn. Bei seinem letzten Abendmahl besiegelte Jesus den Bund mit seinen Jüngern durch einen symbolischen Bluttrank: >>Trinkt alle daraus! Denn dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.<<

Blut galt nicht erst bei Goethe, sondern schon in der Antike als >>besonderer Saft<<. Im elften Gesang der Odyssee schafft es Odysseus durch das Blut geschlachteter Schafe, die Geister der Toten auferstehen und sich von ihnen die Zukunft vorhersagen zu lassen. Homer schildert die Szene wie folgt:

>>Nahm ich die Schaf', und zerschnitt die Gurgeln über der Grube; / Schwarz entströmte das Blut; und aus dem Erebos kamen / Vielen Seelen herauf der abgeschiedenen Toten. / Jünglinge und Bräute kamen, und kummerbeladene Greise, / Und aufblühende Mädchen, im jungen Grame verloren. / Viele kamen auch, von ehernen Lanzen verwundet, / Kriegerschlagene Männer, mit blutbesudelter Rüstung. / Dicht umdrängten sie alle von allen Seiten die Grube / Mit grauenvollem Geschrei; und bleiches Entsetzen ergriff mich ...<<

Doch zurück in die Welt von Bram Stoker. Mit der Beschreibung der wollüstigen Vampir-Mädchen schuf der Ire nicht nur das Urbild des Blut saugenden, Männer mordenden >>Vamps<<. Er bündelte in seinen Schilderungen der Vampir-Praktiken auch die unterdrückten sexuellen Wünsche einer ganzen Epoche, bis hin zur Nekrophilie, der dunklen Leidenschaft für den toten Körper. Gegruselt und erregt zugleich erwartete Britannien die Übernahme durch einen untoten Grandseigneur aus den Karpaten, eine Mischung aus Don Juan, Heiratsschwindler und Totengräber, der in einem alten Schloss mit seinen jungen, hübschen Leichen in wilder Ehe lebte.

Draculas Opfer gaben sich ihm hin, wo sie nicht nur den Tod erlebten, sondern wohl auch dessen "kleine" Variante: den Orgasmus. Für den Dracula-Experten Hans Meurer kreierte Stoker nichts anderes als die >>stets brisante Verquickung von Körperflüssigkeiten, Tod und Orgasmus<<: >> Wenn man Dracula richtig liest, ist das eigentlich ein Porno.<<

Aber ein guter. Der Roman entfaltet eine solch suggestive nekrophile Erotik, eine Paarung von Wollust und Todessehnsucht mit dem Wunsch, in einem einzigen Orgasmus zu vergehen, dass er zum Ausgangspunkt einer ganzen Vampirismus-Indrustrie wurde. Stoker schuf einen derart lasziven, ambivalenten und doppelbödigen Idealtypus bewusster und unbewusster menschlicher Sehnsüchte, dass dessen Dimensionen in einem einzigen Buch gar nicht ausgelotet werden konnten. Sobald der Film erfunden war, bemächtige er sich der vampirischen Traumwelt, in der sich Schrecken in Lust verwandelt und Lust in Schrecken, bis hin zu Christopher Lees unangefochtener Schreckensherrschaft über die Kinoleinwände, die 14 Filme dauern sollte.

Inzwischen gibt es den Vampir für alle sexuellen Vorlieben, von Softpornos wie >>Love bites<<, bis hin zu Streifen wie >>Sex und der Single-Vampir<<, in dem der genital üppig ausgestattete (inzwischen verstorbene) Pornostar John Holmes einen seiner ersten Auftritte hatte. Botschaft all dieser Filme: Nicht nur der Postmann, auch der Vampir >>klingelt zweimal<<.

Daneben entwickelte sich ein zweites Genre nach dem Motto: Wenn der Blutsauger schon nicht zum Sex taugt, so kann man ihn wenigstens nach Belieben abknallen. Regisseure wie John Carpenter exerzieren die Wiedereinführung der Untermenschen-Ideologie durch die Hintertür, indem sie auf der Leinwand alles niedermetzeln ließen, was im Verdacht stand, ein Vampir zu sein.

Freilich hat sich das der Vampir womöglich selbst zuzuschreiben - Mord gehörte schließlich schon immer zu seiner Profession. Ob nun der Killer Fritz Haarmann (1879 - 1925), der seine Opfer in die Kehle biss, bevor er ihr Blut konsumierte, der >>Vampir von London<< John Haigh (verhaftet 1949), der das Blut von neun Menschen trank, oder der Amerikaner Jeffrey Dahmer, der 17 junge Männer tötete und ihr Fleisch und Blut zu sich nahm: Immer wieder stürzen Soziopathen in die Abgründe des Vampir-Mythos, um sich im Blut anderer Menschen zu suhlen. Das Motiv war der ins Krankhafte gesteigerte Wunsch nach Verschmelzung mit dem begehrten Opfer, der Preis für die Blutsaugerei war standesgemäß hoch: Das Urteil im Fall Jeffrey Dahmer lautete auf 900 Jahre Gefängnis.

Auch wenn uns diese Berichte erschaudern lassen: Die Lebensgeschichten solcher Killer wurden meist schon wenige Jahre nach den Bluttaten zu Bestsellern oder zu erfolgreichen Kino-Hits. So tauchte der Fall Dahmer im 1995 gedrehten Horror-Krimi >>Copykill<< (US-Titel: Copycat) auf.

So abartig der Konsum von Menschenblut erscheinen mag, so sicher steht fest: Irgendwo steckt in uns allen ein Vampir - jedenfalls in den meisten von uns. Tierisches Blut war schon immer ein beliebter Bestandteil unserer Speisekarte. Die Römer stellten ihre Blutwurst aus Gerstenschrot, Fett und gekochtem Blut her. Die Germanen schätzten als deftigen Krafttrank mit Wein und Honig vermischtes Ochsenblut. Der obersteirische Jäger trank das Blut des frisch aufgebrochenen Wildes, um sich >>eine feste Brust<< zu erhalten.

Eine zünftige Blutwurst enthält heute etwa 43 Prozent Schweineblut, das mit Milch, Fett und Zwiebeln vermischt wird. Das Blut wird vor der Verarbeitung aufgerührt und durch ein Sieb passiert. Für einen ordentlichen Bluteintopf aus gewürfeltem Schweinefleisch benötigt man eine Tasse Schweineblut, für das malaysische Gericht >>Schweineblut mit Lauch<< muss es fast ein Pfund sein. Eine Blutsauce brauchen wir hingegen für das Kleinziegenfelder Gänseklein, bei dem das mit Essig versetzte Blut zu einer Mehleinbrenne gerührt wird, bis die Soße schön schwarz glänzt. Mit Sauerkraut und Klößen servieren!

Ob diese deftigen Blutgerichte aus aller Welt auch Stokers Graf Dracula gemundet hätten? Vermutlich nur, wenn die Köche beim Würzen auf den Knoblauch verzichtet hätten.

(by Gerhard Wisnewski für das P.M. HISTORY-Magazin)

 

Die Renaissance der Blutsauger

Sie steigen nachts aus ihren Gräbern und saugen anderen das Blut aus: Vampire. Sie scheuen das Licht, gehen Kreuzen und Knoblauch aus dem Weg. Reine Phantasie? Nicht nur, behaupten zwei deutsche Forscher.

Seit sechs Jahren sind der Anästhesist Thomas Crozier und der Literaturwissenschafter Frank Möbus, beide von der Uni Göttingen, den Wurzeln des Vampir-Glaubens auf der Spur. Noch heuer werden sie ihre Erkenntnisse in Buchform auf den Markt bringen.

"Wenn in früheren Jahrhunderten ein Familienmitglied starb und kurz darauf andere unter ähnlichen Umständen aus dem Leben schieden, grub man oft den, der zuerst gestorben war, wieder aus", berichtet Crozier. "Man fand den Toten dann mit rosigem Gesicht und blutroter Flüssigkeit im Mund."

Das alles sind natürliche Verwesungserscheinungen, doch das war damals noch nicht bekannt. Man glaubte, der Betreffende sei noch nicht ganz tot. Er komme nachts heraus und falle die Lebenden an.

"Es hieß, ihm läuft noch die letzte Mahlzeit aus dem Mund", sagt Crozier. Entweichende Leichengase wurden als "Schmatzen" des Toten gedeutet. Oft standen Infektionen wie Milzbrand und TBC mit ihren typischen Merkmalen (Blässe, Auszehrung) hinter den Todesserien. Aber von Viren und Bakterien hatte man noch keine Ahnung.

Statt dessen ging man daran, den vermeintlichen Vampir im Grab unschädlich zu machen. Man rammte ihm einen Pfahl durchs Herz, trennte ihm den Kopf ab oder verbrannte den Leichnam.

Rund zwei Dutzend Vampir-Friedhöfe in Serbien, Mexiko und dem US-Bundesstaat Connecticut wurden bisher entdeckt. Forscher gruben dort gepfählte und geköpfte Skelette aus. An den Knochen waren vereinzelt Anzeichen von TBC erkennbar.

Der Fall Arnold Paole

Eine Spur führt ins Jahr 1732, als das österreichische Militär einer Reihe verdächtiger Todesfälle im serbischen Medvegia an der türkischen Grenze nachging. Der Medicus Glaser ließ das Grab eines "Untoten" namens Arnold Paole öffnen und fand den Leichnam unverwest und vollgepumpt mit Blut. Glaser ließ ihm einen Pfahl ins Herz treiben und die Leiche anschließend verbrennen. Historische Rekonstruktionen ergaben, dass in der Gegend in den Jahren zuvor eine Tollwutepidemie gewütet hatte.

"Tollwutkranke zeigen Symptome, die dem Verhalten eines Vampirs verblüffend ähneln", hat der spanische Neurologe Juan G—mez-Alonso herausgefunden. Etwa die erstarrten Gesichtszüge, der blutige Schaum vor dem Mund, die ausgeprägte Abneigung gegen Spiegelbilder und intensive Gerüche (Knoblauch), die panische Angst vor Sonnenlicht.

Ebenso auffällig sind die übersteigerte Erregbarkeit (einschließlich Geschlechtstrieb) und die Neigung, andere zu beißen. Neben Fuchs und Wildschwein wird die Tollwut auch von Fledermausarten übertragen.

Die Berichte aus Serbien lösten eine Flut populärer und gelehrter Schriften über Blut saugende Untote aus. Den Dorfgeistlichen kam der Vampirismus gelegen: Sie nahmen Teufelsaustreibungen an "Vampiren" und ihren Opfern vor und ließen sich dafür bezahlen. Kreuze und Hostien gehörten bald zur Standardausrüstung jedes Vampirjägers. Diese Praxis ist noch heute im christlich-orthodoxen Kulturraum verbreitet.

Crozier hat sich auch aufs Gebiet der medizinischen Spekulation begeben: Ein Liter Blut enthält ca. 700 Kalorien. Ein 80 kg schwerer Vampir müsste dann täglich vier Liter Blut süffeln, um sein Gewicht zu halten. Nimmt man den Energieverbrauch bei Fledermäusen als Richtwert, würde beim 80-kg-Vampir ein Liter Blut für 20 Flugminuten reichen.

1797 führte Goethe den Vampir in die Literatur ein. In seiner kirchenkritischen Ballade "Die Braut von Korinth", in der eine Untote ihren Bräutigam verführt, nahm er den Vampir-Stoff zum Anlass, um gegen die Sinnenfeindlichkeit des biblischen Paulusbriefs "An die Korinther" zu polemisieren. Auch andere Dichter schildern den todbringenden Biss des Vampirs fortan als lustvoll. Möbus sieht darin ein Symbol für die Geschlechtskrankheit Syphilis, die sich im 19. Jahrhundert über die Bordelle ausbreitete.

Erst der irische Schriftsteller Bram Stoker, der 1912 an Syphilis starb, verband 1897 in einem für das viktorianische Zeitalter skandalös erotischen Roman den Vampirismus mit einer historischen Figur, dem rumänischen Fürsten Vlad Tepes (1431- 1476). Er wurde als "Graf Dracula" zur Leitfigur in Film, Literatur und Kunst.

Seit zwanzig Jahren beobachtet Möbus eine Renaissance des Vampir-Stoffes. Für ihn kein Zufall: Damals wurde die Immunschwäche-Krankheit Aids in aller Welt bekannt.

Quelle: OÖ-Nachrichten

 

Der russische Vampir

Moskau – Seine Augen sind gelb, die Haut ist aschfahl und mit Brandblasen übersäht. Wasily Gembitiskij verträgt keine Sonne, er geht nur nachts oder bei wolkenverhangenem Himmel vor die Tür.Russische Wissenschaftler glauben: Dieser Mann ist ein Vampir!

Wasily (53) ernährt sich seit Jahren von Blut. Mediziner untersuchten ihn jetzt in Moskau und tatsächlich: Der Russen-Dracula leidet offenbar an einer so genannten Porphyrie. Bei der sogenannten „Vampir-Krankheit“ handelt es sich um einen fehlerhaften Blutstoffwechsel. Die Patienten vertragen kein Sonnenlicht.

„Schon als Kind liebte ich die Einsamkeit und den Nachthimmel“, sagt Wasily. „Eines Tages fragte mich ein Nachbar, ob ich ihm beim Schweineschlachten helfen könnte. Als ich das warme Blut sah, wurde der Drang übermächtig. Es schmeckte wie guter Wein.“ Seitdem hilft Wasily überall im Dorf beim Schlachten und trinkt nur noch Blut.

Mediziner streiten über den Russen-Dracula. Machte ihn wirklich nur die Stoffwechselkrankheit zum Vampir? Oder ist er ein echter Blutsauger?

Dr. Stephen Kaplan vom Vampir-Forschungszentrum in New York ist davon überzeugt, dass es weltweit mindestens 1000 echte Vampire gibt: „Sie werden bis zu 200 Jahre alt.“

Quelle: Bild-Zeitung v. 27.11.03

 

Infektionskrankheiten führten zum Vampir-Aberglauben

Rätsel um vermeintliche Blutsauger gelöst. Zwei Dutzend Vampir-Friedhöfe in Österreich, Serbien, Mexiko und den USA sind bislang gefunden worden
Von Michael Grau

Göttingen - Sie steigen nachts aus ihren Gräbern und saugen anderen das Blut aus: Vampire. Sie scheuen das Licht, gehen Kreuzen aus dem Weg und mögen keinen Knoblauch. Reine Fantasie? Nicht nur, sagen die Professoren Frank Möbus und Thomas Crozier: "Ein Mythos, der sich so lange hält, funktioniert nur, wenn er in der Realität verwurzelt ist."
Seit sechs Jahren sind der Göttinger Biologe und Mediziner Crozier und der in Oldenburg lehrende Literaturwissenschaftler Möbus fachübergreifend den Wurzeln des Vampir-Glaubens auf der Spur. "Wenn vor Jahrhunderten ein Mitglied einer Familie starb und kurz darauf andere Familienmitglieder unter ähnlichen Umständen aus dem Leben schieden, dann grub man oft denjenigen, der zuerst gestorben war, wieder aus dem Grab aus", erklärt Crozier. "Man fand den Toten dann mit einem rosigem Gesicht und blutroter Flüssigkeit im Mund."
Diese Merkmale sind natürliche Verwesungserscheinungen, doch das war damals noch nicht bekannt. Die Menschen glaubten vielmehr, dass die Person noch nicht ganz tot sei. Er käme nachts heraus und fiele die Lebenden an. "Es hieß, ihm läuft noch die letzte Mahlzeit aus den Mund", berichtet Crozier. Entweichende Leichengase wurden als "Schmatzen" des Toten aufgefasst. Rätselhafte Todesserien in einer Familie würde man heute mit ansteckenden Krankheiten erklären. "Von Infektionen hatte man damals aber noch nicht die leiseste Ahnung", sagt Möbus.
Stattdessen ging man daran, den vermeintlichen Vampir im Grab unschädlich zu machen. Man schlug ihm einen Pfahl durchs Herz, trennte ihm den Kopf ab oder verbrannte die Leiche. Rund zwei Dutzend Vampir-Friedhöfe in Österreich, Serbien, Mexiko oder den USA sind laut Crozier und Möbus bisher gefunden worden. Forscher gruben dort gepfählte und geköpfte Skelette aus. Einige fand man mit gekreuzten Oberschenkelknochen auf der Brust. An den Knochen waren vereinzelt noch Spuren der Tuberkulose erkennbar.
Die deutlichste Spur führt ins Jahr 1732. Österreichische Chirurgen und Soldaten gingen damals einer Reihe verdächtiger Todesfälle im serbischen Medvegia nahe der türkischen Grenze nach und fanden angeblich sichere Beweise für Vampirismus. Historische Rekonstruktionen ergaben, dass um 1720 in Südosteuropa eine Tollwutepidemie wütete, der zahlreiche Menschen und Tiere zum Opfer fielen. Tollwut wird unter anderem durch Bisse übertragen.
Die Berichte aus Serbien lösten eine regelrechte Flut von populären und gelehrten Schriften über die Blut saugenden Untoten aus - sehr zur Verärgerung der Kirche. Vielen einfachen Dorfgeistlichen aber kam der Vampirismus ganz recht: Sie nahmen nun Teufelsaustreibungen an vermeintlichen Vampiren und ihren Opfern vor und ließen sich dafür bezahlen. Kreuze und Hostien gehörten bald zur Standardausrüstung jedes Vampirjägers.
Im Jahr 1797 führte kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe den Vampir in die Literatur ein. In seiner kirchenkritischen Ballade "Die Braut von Korinth", in der eine Untote ihren Bräutigam verführt, würzte er den Vampir-Stoff mit einem kräftigen Schuss Erotik. Auch andere Dichter schildern den todbringenden Biss des Vampirs fortan als lustvoll. Möbus sieht darin ein Symbol für die Geschlechtskrankheit Syphilis, die sich im 18. und 19. Jahrhundert über Bordelle ausbreitete.
Erst der irische Schriftsteller Bram Stoker (1847-1912) verband 1897 den Vampirismus mit einer geschichtlichen Figur, dem rumänischen Fürsten Vlad Tepes (1431 bis etwa 1476). Er trug den Beinamen "Draculea" (Drache) und wurde als "Graf Dracula" eine der bekanntesten Figuren in Film, Literatur und Kunst. Seit 1984 beobachtet Möbus eine regelrechte Renaissance des Vampir-Stoffes. Für ihn kein Zufall: Damals wurde die Immunschwächekrankheit Aids in der Öffentlichkeit bekannt.

Quelle: welt.de

 

17. Mai 2004

Verlassene wird zum "Vampir"

Versöhnungs-Umarmung endet mit Biss in den Hals

Aus verschmähter Liebe ist eine 19-Jährige in Hagen zum "Vampir" geworden. Eine Streifenwagenbesatzung hatte nahe dem Hauptbahnhof bemerkt, dass die junge Frau ihren 27-jährigen Lebensgefährten mit Schlägen und Fußtritten malträtierte, wie ein Polizeisprecher am Montag mitteilte. Nachdem das Paar mühsam getrennt werden konnte, erklärte der Mann, er habe eben mit seiner Freundin Schluss gemacht. Dies habe sie nicht verkraftet und sei deshalb auf ihn losgegangen. Allerdings werde sich seine Ex-Freundin auch schnell wieder beruhigen. Deshalb ließen es die Polizeibeamten zu, dass er sich der jungen Dame wieder näherte, um mit ihr zu sprechen.
Als es zur Umarmung kam, gingen die Beamten davon aus, dass der Streit geschlichtet war. Plötzlich jedoch schrie der junge Mann auf und griff sich an den Hals. Es stellte sich heraus, dass die 19-Jährige ihn mit einem Biss verletzt hatte. Die Beamten mussten die beiden erneut trennen und legten der renitenten Verflossenen Handfesseln an. Sie wurde schließlich zur Ausnüchterung in Polizeigewahrsam gebracht.
Der 27-jährige Gebissene wollte auf keinen Fall Strafantrag gegen seine Ex-Lebensgefährtin stellen. Auch eine medizinische Versorgung lehnte er ab.

Quelle: N24.de, ddp

 

Ich komme mit der Welt hier nicht klar": Der frühere Herr Berbig, heute letzter Nachfahre der Dracula-Dynastie, vor Schloss Schenkendorf

 

 

 

In Brandenburg lernt Dracula das Fürchten

Wie ein ehemaliger Barmixer zu Fürstenehren kam und sich mit einem Vampirmuseum in der ostdeutschen Provinz ruinierte.
Von Andrea Exler

(SZ vom 17.8.2001) - Es war heiß auf dem Friedhof in Bukarest. Ottomar Dracula Prinz Kretzulesco folgte dem Sarg seiner Adoptivmutter, die fast hundert Jahre alt geworden war. Vier Männer hatten den Sarg auf einen Holzkarren geladen, der von einem schwerfälligen Gaul gezogen wurde. Polternd bewegte sich das Gespann vorwärts.

Der Pope schwenkte das Weihrauchfass. Der Zug erreichte die Familiengruft, die Totengräber begannen das Grab auszuheben. Immer wieder kamen Gebeine zum Vorschein, der Pope sammelte sie ein, segnete sie und warf sie in eine Plastiktüte. Prinz Kretzulesco wurde übel. Am gleichen Abend flog er zurück nach Berlin.

„Die Prinzessin war eine kleine, sehr gepflegte alte Dame, die fließend Deutsch sprach“, sagt der Prinz. Besser bekannt ist er als Graf und Nachfahr des 1477 verstorbenen Vlad Dracula Tepesz, der nach einer Schlacht gegen ein osmanisches Heer das Blut seiner Feinde getrunken haben soll und Gefangene pfählen ließ.

Offiziell trägt Kretzulesco den Titel eines Grafen nicht, und auch Prinz ist der gebürtige Berliner erst seit 1987. Davor hieß er Ottomar Berbig und verdiente in West-Berlin seinen Lebensunterhalt mal als Konditor, mal als Barmixer, dann als Fachmann für Entrümpelungen und schließlich als Antiquitätenhändler.

Die rumänische Prinzessin Dracula Caradja Kretzulesco, letzte Blutsverwandte des transsilvanischen Fürsten, der den Schriftsteller Bram Stoker zu seinem berühmten Vampir-Roman inspirierte, adoptierte Berbig, einen alten Freund der Familie, wenige Jahre vor ihrem Tod. „Meine Adoptivmutter hatte keine eigenen Söhne und wollte so den Namen bewahren“, sagt der 61- Jährige und präsentiert stolz ein Stammbuch aus dem Jahr 1901, das die Geschichte der Fürsten der Walachei, zu denen der historische Dracula gehörte, bis 1290 zurückverfolgt.

Rodolphe hieß der Begründer des Herrschergeschlechts, und so heißt nun auch der adoptierte Erbe: Ottomar Rodolphe Vlad Dracula Prinz Kretzulesco. „Das Stammbuch ist das wichtigste Erbstück, der Kretzulescos“, sagt der Prinz, der in Adelskreisen mit „Hoheit“ angesprochen wird. Was ihm sonst noch blieb, sind ein paar Burgruinen und verfallene Kirchen in Rumänien und eben der illustre Name.

Der wurde denn auch zur einzigen Einnahmequelle Kretzulescos, leider einer sehr unzuverlässigen. Er ist zwar Inhaber der deutschen Marken „Dracula“, sowie „Prinz Dracula“ und „Schloss Dracula“, verlor aber jüngst vor Gericht den Namensstreit gegen ein Schnapsfirma, die „Dracula Liqueur“ vertreibt.

Vor sieben Jahren ließ er sich im brandenburgischen Schenkendorf nieder. In der kleinen Gemeinde erwarb er ein Schloss mit einem 16 Hektar großen Grundstück. Bis zur Wende hatten auf dem Gut aus dem Besitz Friedrich Wilhelms I. DDR-Grenzhunde und deren Ausbilder gehaust. Kretzulesco wollte das Gemäuer zur Grusel-Attraktion für Touristen umfunktionieren und von dort aus seinen Namen vermarkten.

„Das Schloss frisst mich auf“

Aus dem Gittertor vor dem Schloss wachsen Brennesseln, eine wilde schwarze Katze reckt sich neben dem Schild „Achtung bissiger Hund“. Umständlich schließt der Schlossherr auf. Im Streichelzoo für Kinder gleich hinter dem Eingang weiden Schafe, Ziegen und Ponys. Die Tiere stehen etwas verloren im kniehohen Gras, denn an diesem Sommernachmittag hat kein Tourist den Weg bis nach Schenkendorf gefunden. Das Restaurant ist geschlossen, und im Vampir-Museum fangen Versatzstücke aus der Historie des Untoten Staub.

Bis vor zwei Jahren gehörte zum Programm für Schlossbesucher ein als Vampir Kostümierter, der während des Rundgangs einem Sarg entstieg. Als eine Amerikanerin einen Herzinfarkt erlitt, wurde die Nummer gestrichen. Ohnehin öffnet Kretzulesco das Museum nur noch selten.

„Das Schloss frisst mich auf“ sagt der Prinz, während er die knarrenden Türen einer Leichenkutsche aus dem vorigen Jahrhundert aufstößt. Anfangs waren zu den Ritterspielen, Walpurgisnächten und Blutspende-Partys, die er gemeinsam mit dem Roten Kreuz veranstaltete, bis zu 12000 Schaulustige gekommen. In der stagnierenden Region schien sich Draculas Anwesen zur Geldquelle für den Besitzer und die Gemeinde zu entwickeln.

Doch der Schlossherr hatte die Rechnung ohne die Dorfbewohner gemacht. Zum Verhängnis wurde ihm ein neuer Nachbar, der in unmittelbarer Nähe des Schlosses einen leer stehenden ehemaligen Schweinestall gekauft und zum Einfamilienhaus umgebaut hatte. Ihn störte der Lärm bei Kretzulescos Festivitäten. Nach zahllosen Anzeigen bei der Polizei und einer offiziellen Messung des Geräuschpegels erzwang er, dass jede Open-Air-Veranstaltung von den Behörden vorab genehmigt werden muss. Außerdem darf der Prinz nur noch zwölfmal im Jahr feiern.

„Heute stecke ich wesentlich mehr Geld in das Anwesen, als ich einnehme“, klagt Kretzulesco, der zwei erwachsene Töchter hat, die nicht „Dracula“ heißen wollen. Das Schloss ist noch genauso baufällig wie zu DDR- Zeiten, im großen Saal im Erdgeschoss lagern alte Möbel, die aus Kretzulescos früherem Leben als Antiquitätenhändler stammen, und im Keller stapelt sich Sperrmüll. Zu den Finanznöten kamen im vergangenen Jahr zehn Brandanschläge auf sein Gut. An die Schlossmauer sprühten Unbekannte „Ausländer raus“. Brandenburg lehrte Dracula das Fürchten.

Schließlich drohte der Prinz mit Wegzug. Geeignete Schlösser in Bayern und sogar in England hatte er bereits ausfindig gemacht. Da gründeten einige Schenkendorfer eine Bürgerinitiative, die im Ort mehrere hundert Unterschriften sammelte, um den Gemeinderat zu mehr Kulanz im Umgang mit dem Zugereisten zu bewegen. Seither haben sich die Gemüter zwar ein wenig beruhigt.

Doch der erhoffte Touristenstrom bleibt aus. Wenn heute im Schloss das Telefon läutet, sind es nicht selten an schwarzer Magie Interessierte, die den Erben des Fürsten der Finsternis für einschlägige Zeremonien gewinnen wollen. „Mit diesen Teufelsleuten will ich nichts zu tun haben“, beteuert er.

Dafür setzt der geplagte Schlossherr neuerdings auf Astrologie. Kretzulesco beauftragte den Berliner Anwalt Hanns-Ekkehard Plöger, bekannt wegen seiner skurrilen Eingaben bei Gericht und einiger prominenter Mandanten, zu denen Julius Hackethal, der Verfechter der Sterbehilfe, zählte. „Ich lasse bei Konflikten astrologische Psychogramme erstellen, um mir über die Persönlichkeiten der Kontrahenten klar zu werden“, sagt Plöger.

Mit dem Psychogramm des Nachbarn, der den Prinzen immer wieder wegen Ruhestörung anzeigt, ist Plöger allerdings nicht weit gekommen. Der weigerte sich nämlich, dem Anwalt seine Geburtsstunde mitzuteilen. Derweil zeigt sich der Nachbar im ehemaligen Schweinestall kein bisschen versöhnlicher. „Wenn ich jünger wäre, würde ich aus Deutschland weggehen“, seufzt Prinz Kretzulesco. „Ich komme mit der Welt hier nicht mehr klar.

Quelle: sueddeutsche.de

 

Gebietsreform 
Dracula ruft Fürstentum aus
Von Helmut Uwer aus dem Fürstentum Dracula
 
20. März 2002 Diskret hat die Hofkappelle auf der Galerie Platz genommen. Unsichtbar, aber unüberhörbar eröffnet sie das Zeremoniell. Unten entrollt Graf Dracula, in einen schwarzen Cut gekleidet, die blutrote Proklamationsurkunde und verkündet feierlich, während von der Decke der Putz zu bröckeln droht, dass er allen Hilfesuchenden seinen Schutz gewähren wolle: "Stets gewähre ich Schutz. Das gebietet mir der Auftrag, der mit meinem Namen verbunden ist.
Das neue Fürstentum wird eigene Autokennzeichen ausgeben, eigene Pässe inklusive Diplomatenpässe und eigenes Geld. Der Euro wird durch den Drac ersetzt. Die Steuern im Fürstentum sollen nur bei zwanzig Prozent liegen. Zum Abschluss der Zeremonie ertönt standesgemäß die Hymne. Noch muss es das Lied der Brandenburger tun, wie der Graf ernüchtert feststellt: "Meine haben sie nicht so schnell geschafft. Die eigene Hymne wird erst komponiert.“Neues FeuerwehrautoDoch der Mann, dessen Name mit Vampiren und Pfählen verbunden ist, ist nicht plötzlich zum Philanthropen geworden. Alles ist nur ein PR-Gag. Es geht um den Protest gegen die in Brandenburg nicht sehr beliebte Gemeindegebietsreform, gemäß der sich die kleinen Gemeinden zu größeren zusammenschließen sollen. Dazu gehört auch Schenkendorf südlich von Berlin, wo der Graf residiert und sogar ganz bürgerlich im Gemeinderat sitzt.
Das Dorf mit 1.200 Einwohnern will eigenständig bleiben, was eigentlich erst Gemeinden ab 5.000 Einwohnern zugestanden wird. Doch Bürgermeister Guido Friese (SPD) wehrt sich gegen diesen Zwang: "In diesen Genuss von Demokratie sind wir erst durch die Wiedervereinigung gekommen. Es solle nicht alles von oben bestimmt werden. Und dann verweist darauf, dass seine Gemeinde schuldenfrei sei und über ein blühendes Gewerbegebiet verfüge. Erst im letzten Jahr habe man ein Feuerwehrauto für über 150.000 Euro anschaffen können. Jetzt nutze man den berühmten Namen, um auf den Protest gegen die Gemeindegebietsreform aufmerksam zu machen, gegen die 80 Gemeinden Verfassungsklage eingereicht hätten.
Blutspendeparties
So wenig echt also die Ausrufung des Fürstentums war, so wenig echt ist auch der Graf selber. Er heißt eigentlich Ottomar Berbig und kommt aus Berlin. Doch in seiner Eigenschaft als Antiquitätenhändler lernte er irgendwann Ekatherina Olympia Prinzessin Kretzulesco kennen, die nun tatsächlich eine Nachfahrin des blutrünstigen Grafen ist. Die schloss ihn so sehr in ihr Herz, dass sie ihn adoptierte. Seither engagiert sich der Prinz aus Berlin-Schöneberg für seine neue Familie, als würde in seinen Adern schon immer blaues Blut fließen.
Nicht immer ist sein Kampf erfolgreich. Im vergangenen Jahr hat er einen Prozess um die Internet-Werbung seines Namens für Wein verloren. Erfolgreich war dagegen sein Kampf ums Überleben. Gegen Widerstand in der Gemeinde und einigen Brandstiftungen zum Trotz hat er sich behauptet. Und noch immer dürstet es ihn nach dem Blut seiner Gäste. Immer im Sommer bittet der Graf nämlich zur Blutspendeparty, deren "Erlös dem Roten Kreuz zugute kommt“. Ansonsten veranstaltet er mittelalterliche Ritterspektakel, Walpurgisnächte und Weihnachtsmärkte.

(Quelle: faz.net)

 

Der Vampir
oder
Die Faszination des Todes
von Christine Mayer

„Wird das Fleisch, das zarte, in Stücke gerissen, während die Kehle dabei satt an dem Blute sich schlürft. Striges nennt sich das Volk...“

(Ovid: „Fasti“)

„Einen Tropfen nur, ein kleines Tröpfchen... herrliches, purpurrotes, schimmerndes Blut, -... ich werde dich trinken!“

(Théophile Gautier: „Clarimonde“)

« …ich fühle es und ich sehe es…wie jemand auf mich zukommt…mich anstarrt, …auf meiner Brust kauert, …mich würgt mit aller Kraft, …ich will mich bewegen, …kann nicht. Und jäh wache ich auf... und mache Licht. Ich bin allein.“

(Guy de Maupassant: „Le Horla“)

Erkennen Sie, worum es sich in diesen Auszügen handelt? Natürlich handelt es sich um ein Wesen, das allenthalben unheimlich und bedrohlich-ängstlich anmutet und das buchstäblich unter die Haut geht: um den Blutsauger, den Vampir.

Wir treffen ihn bereits in der Antike: als blutdürstige Lamie, als grausige Empuse, die vorzugsweise über Kinder herfällt. Seit dem 8. Jahrhundert begegnet er uns in Hexen und anderen unheimlichen Gestalten. Am bekanntesten und beinahe schon vertraut geworden ist der hagere, bleiche Mann, dem Bram Stoker in der letzten großen literarischen Hymne auf das vampirische Geschlecht gezeichnet hat: Dracula. Immer wieder haben sich Dichter und Schriftsteller dem Genre der heute sogenannten „Horrorliteratur“ angenommen. Doch erst seit sich Edgar Allan Poe und Guy de Maupassant mit der Thematik des Vampirwesens auseinandersetzen, wurde er an dem Ort aufgespürt, dem er letzten Endes seine Unsterblichkeit verdankt: im Menschen selbst.

Auf die Frage, welche Gefühle die Konfrontation mit der Vampirgestalt in Film und Literatur beim Menschen des 20. Jahrhundert auslöst, erhält man meist nur wenig differenzierte Antworten: „unheimlich“, „gruselig“, „kann ich abends nicht lesen“ oder „muss ich weggucken“.

Was macht denn den Vampir so schreckerregend? Betrachten wir den sogenannten klassischen Vampir, wie er seit der Romantik durch sie Erzählungen und Schauerromane geistert, dann kann etwa folgender Steckbrief über ihn zusammengestellt werden:

Erotische Komponenten. Es handelt sich beim Vampir um den unverwesten Leichnam eines vorzugsweise verbrecherischen, unehelichen, exkommunizierten oder sonst wie sozial desintegrierten Menschen. Meist ist er von blasser Hautfarbe, extrem leptosomer Statur und hat unergründlich glühende, gar stechende Augen von nahezu unwiderstehlicher Faszinationskraft, sowie auffallend lange spitze Eckzähne. Er erscheint nur in den Stunden zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang. Das Sonnenlicht ist für den Vampir unerträglich. Er hat kein Spiegelbild, und fließende Wasser kann er nicht überschreiten. Seine bevorzugte Nahrung besteht aus jungem menschlichem Blut. Dadurch braucht er ständig den hautnahen Kontakt zu den Lebenden.

Es werden vorrangig gegengeschlechtliche Opfer ausgewählt, was auf eine mehr oder minder latente erotische Komponente im Kontakt des Vampirs zu seinen Opfer hindeutet. Durch den Akt des Blutsaugens, bei dem er sich seiner Zähne bedient, sichert er sich selbst die weitere Existenz und infiziert gleichzeitig das Opfer. Die Symptome: Rasche Ermüdbarkeit, Passivität und Apathie bis zur Bewusstlosigkeit sowie extreme Blässe.

Kreuz und Knoblauch. Doch es gibt vielfältige Möglichkeiten für den Menschen, sich vor dem Vampir zu schützen:

Da der Vampir beim ersten Besuch nur in offene Häuser eindringen kann, empfiehlt es sich, Fenster und Türen regelmäßig fest zu schließen. Erst bei wiederholten Besuchen darf der Vampir auch verschlossene Wohnbereiche des Menschen selbst öffnen. Dann kann man so erfolgreiche Waffen gegen ihn einsetzen wie das Kreuz-Symbol, Knoblauch, Silberkugeln, magische Kreise und zur absoluten Vernichtung – den Holzpfahl, welcher dem Vampir durch den Leib gestoßen werde.

Es gibt also ein streng definiertes Ordnungssystem für die Interaktionsfähigkeit von Menschen und Vampir. Aus den mannigfachen Geboten und Verboten, denen der Vampir unterworfen ist, und aus den ebenso zahlreichen Regeln und Vorschriften, die dem Menschen als Schutzmechanismen und Aggressionsbremsen gegen den Vampir dienen, entsteht ein Spannungsverhältnis mit nahezu ausgewogenen Kräften.

Als ich mit zehn Jahren den Roman „Dracula“ zum ersten mal gelesen hatte, war ich etwas unbefriedigt angesichts der Fahrlässigkeit, ja Unfähigkeit der Akteure, sich gegen den Vampir zu wehren. Warum fragte ich mich, haben damals nicht alle Leute eine zeitlang einfach ein Kreuz um den Hals getragen, um die Vampire zu bannen? Wenn das alle getan hätten, dann wären die Vampire ausgehungert und in der Fabrikation der Nachkommen gehindert worden, da neue Vampire ja nur durch Infektion beim Kontakt mit dem Menschen entstehen können.

Urängste. Doch dem Vampir mit kindlich strenger Logik begegnen zu wollen, anstatt sich ihm mit angehaltenem Atem und gläubiger Faszinationskraft auszuliefern – darin liegt ein Kardinalsfehler. Die Vampirgestalt ist mit Logik nicht zu erfassen. Schließlich ist sie eine Schöpfung der menschlichen Phantasie. Daran ändern auch die psychopathologischen Fälle von Hämatophilie und Hämatodipsie, wie sie in der Menschheitsgeschichte tatsächlich vorkamen, nichts.

Erinnern wir uns an die ungarische „blutige Gräfin“ Erzcèbet Báthory, die im 16. Jahrhundert mindestens 610 Mädchen zu Tode marterte, oder an ihr männliches Gegenstück Gilles de Rais, oder an Fritz Haarmann. Mögen sie auch eine Verfestigung vampirischer Kreatürlichkeit anbieten, so ist doch mit Sicherheit der Vampir in seiner Ursprünglichkeit in die Reihe jener Hexen und Zauberfiguren einzugliedern, die als personifizierte Träger menschlicher Urphantasien und Urängste zu den archetypischen Urbildern gehören.

Ws den Vampir so furchterregend macht, ist leicht zu erklären: Er gilt als Aggressor aus einer geheimnisvollen, weil unbekannten Welt.

Als das Unbekannte schlechthin empfindet der Mensch seit jeher die Welt des Todes. Und er fürchtet sie, weil er für diesen Bereich keine Orientierungsmöglichkeiten und keine Antizipationsschemata hat, die ihm Sicherheit und Vertrautheit bieten. Der Bereich des Todes entzieht sich der Erfahrbarkeit durch die Fähigkeiten menschlichen Bewusstseins. Doch wirkt er schreckerregend durch das Einzige, was als sicher gilt: Dass diese Welt anders sein werde als die des Lebens, dass die Werte, die für den Menschen im Leben galten, im Tod hinfällig sein werden.

Tabus. Nun haben die Menschen seit jeher um alles, was mit dem Tod zusammenhängt, ein Gerüst von Tabus aufbaut das sich in unzähligen Riten, Zeremonien und Verboten manifestiert. Da die Urvölker nichts Anorganisches kannten, bezogen sich diese Riten auf die offensichtlichen Träger des ewigen Geheimnisses um den Tod. Auf die Toten. Der Spruch „de mortuis nil nisi bene“ hat auch heute noch seine Bedeutung. Er wurzelt in der Vorstellung, ein Verstorbener kehre beispielsweise aus Rache zurück, um den Lebenden aus dessen Welt herauszuholen, hinüber in die andere Welt der Toten.

Im Vampirbild finden wir die Ängste aufgezeichnet: Mit Hilfe seiner Zähne versucht der Vampir, dem Menschen das zu rauben, was das Leben ausmacht. Die Zähne wurden von der Psychoanalyse als symbolhaft für aggressive Gefühlsrichtungen erkannt. Und das Blut galt schon immer als wesentliches Agens des Aktiven, Lebendigen. So deutete gut durchblutete Haut auf ausgezeichnete Gesundheit, blasse Hautfärbung auf Krankheit hin. Neben dieser Bedeutung hatte das Blut auch die des Verbindenden, des Gemeinschaftlichen: Blutsverwandtschaft und Blutsbrüderschaft zeigten eine besonders intime, tiefe Beziehung auf, die als unauflösbar galt.

Ein gelungener Vampirangriff hat für das betroffene Opfer ein irreversibles Schicksal zur Folge: Es verfällt rasch in physisches Siechtum, der Wachheitsgrad scheint permanent herabgesetzt, der „Infizierte“ ist kaum noch ansprechbar und weilt mit seinen Phantasien, völlig entrückt, in einer anderen Welt. Mit dem Verlust seiner Bindung an die reale Umgebung verliert er seine persönliche Freiheit, seinen Willen, schließlich seine gesamte Identität an eine fremde Macht.

Schattenlose Wesen. In diesem gefürchteten Machtbereich werden die Wertbereiche des Menschen durch andere, seinen ethischen Zielvorstellungen entgegengesetzte abgelöst. Das zeigt sich in weiteren Eigenschaften der Todesgestalt Vampir:

Der Vampir hat kein Spiegelbild. Spiegel- und Schattenbild sind in der Psychoanalyse als Symbole für die menschliche Seele bekannt. Peter Schlemihl verlor mit seinem Schatten auch seine Seele. Bis heute hat sich der Aberglaube gehalten, ein zerbrochener Spiegel bringe Unheil, ja baldigen Tod. Der Vampir verliert seine Macht vor fließenden Wassern und angesichts eines Kreuzes. Fließenden Wassern wurde stets eine purgatorische Kraft zugesprochen; sie galten als Symbol der Reinheit, des Sakralen, als Lebensquell („heilige Quellen“), und das Kreuz ist ebenso kennzeichnend für das Heilige bekannt.

Die Sonne, deren Licht der Vampir scheut, wurde als Spenderin der Lebenswärme verehrt. Sie ist der Mittelpunkt alles Sichtbaren und damit erstrebenswert und unentbehrlich für den vorwiegend auf optische Orientierung angewiesenen Menschen.

Die Domäne des Vampirs jedoch ist das Dunkle, Unüberschaubare; die Zeit der Nacht, in welcher der Mensch allen Gefahren weitgehend hilflos ausgesetzt ist. Im Schlaf ist sein Bewusstseinsgrad herabgesetzt, ebenso Orientierungsfähigkeit und die Möglichkeit von Kontrolle und Reflexion, da die Zeit der nächtlichen Träume in widerstandslos und passiv allem Geschehenen gegenüber macht.

Nun zeichnen sich Archetypen nach C. G. Jung durch ihre Doppeldeutigkeit aus; die Paradoxie des menschlichen Seins demonstriert sich in ihnen. Und so liegt auch einem Tabu stets eine ambivalente menschliche Grunderfahrung zugrunde.

Freud zeigt in seiner Arbeit „Totem und Tabu“ auf: „Tabugründe liegen... in der Furcht vor der Wirkung dämonischer Kräfte... und sind gegen die stärksten Gelüste des Menschen gerichtet... Die Lust, es (das Tabu) zu übertreten, besteht im Unbewussten fort... Die Sühne der Übertretung des Tabus durch einen Verzicht erweist, dass der Befolgung des Tabus ein Verzicht zugrunde liegt.“

Todeswunsch. So steht der Angst vor dem Tode ein tiefes Verlangen nach dem Erfahren dieses unentdeckbaren Geheimnisses gegenüber. Diesem Wunsch nachzugeben wurde jedoch durch die Errichtung von Tabus Grenzen gesetzt, denn solche Triebregungen wurden als Störelemente menschlicher Kulturideale (hier. Lebenserhaltung) gefürchtet und daher verboten. Die Ambivalenz der Gefühlsstrebungen jedoch blieb weiterhin bestehen: Der Todesangst standen stets die Faszination vom Tode, der Wissensdrang nach dem unbekannten Bereich jenseits der menschlichen Existenz gegenüber – Phantasien über die Sehnsucht nach dem eigenen Tod, ja letztlich der Wunsch nach völliger Aufgabe des eigenen Seins.

Der Vampir rührt an diese Inhalte des Unbewussten und erzeugt einen Widerstreit in der Gefühlswelt des Menschen: Dem Bedürfnis, sich der Faszination des Vampirs völlig hinzugeben und ihm zu folgen, stand das Sicherheitsstreben des Menschen gegenüber, der Trieb nach Erhaltung des eigenen Lebens durch die Einhaltung der Tabu-Forderungen.

Dem Vampir Zugang zu erlauben (das Ja-Sagen, das sich darin demonstriert, dass dem Vampir der Zugang zu einem menschlichen Bereich geöffnet wird, beispielsweise das Fenster) bedeutet also, eigenen unbewussten Trieben Folge zu leisten. Und der Verzicht, der in der Befolgung des Tabus liegt, ist in der Unterdrückung eben jener Triebe zu sehen. Das Tabu brechen heißt: Aufgabe des freiheitlichen Willens, der Integration in die menschliche Gemeinschaft, der Identität. Der Mensch bezahlt die Befriedigung seiner verbotenen Wünsche mit der Aufgabe seiner bisherigen Existenzweise, mit seinem Leben. Im Vampir finden wir also Personifizierung von Reizen und Triebinhalten, die die Realisierung der Ansprüche des menschlichen, sozialisierten Bewusstseins gefährden.

Vampir-Sex. Neben diesem unbewussten Streben nach totaler Hingabe an etwas Unbekanntes im Sinne von Todessehnsucht spricht der Vampir unbestritten auch Wünsche sexuellen Charakters an. Am deutlichsten zeigt sich dies wohl in Theophile Gautier’s „Clarimonde“. Hier wird das Bild eines weiblichen Vampirs gezeichnet, der die latenten sexuellen Wunschgedanken des Protagonisten, eines Priesters, erfüllt. In dieser Erzählung wird durch eine Minimalisierung der Vampirgefahren eine nahezu angstfreie Situation geschaffen, in der die Befriedigung sexueller Bedürfnisse vorrangig ist.

Edgar Allan Poe verlagert den Vampir bereits; er nimmt ihn und stellt ihn dorthin, wo er seinen Ursprung hat: in die menschliche Psyche. Aber auch er braucht noch einen Antagonisten, ein Opfer des Vampirs. Meist sind es bei ihm bleiche, nebelhaft ungreifbare Frauengestalten, die das Todesgeheimnis verkörpern und vom Erzähler spirituell-spiritistisch angegriffen und buchstäblich aufgesogen werden.

Maupassant schließlich gelang es in seinem phantastisch gezeichneten „Horla“ den Kreis völlig zu schließen, indem er Vampir und Vampir-Opfer in ein und demselben Individuum wiederfand. Er stellte dar, dass jeder seinen Vampir in sich selbst trägt, dass es die jeweils eigenen unbewussten Triebregungen und Ängste sind, die die Existenz eines jeden gefährden und ängstigen, und dass der Angst und dem Widerstand ein einziges, gemeinsames Ich zugrunde liegt. Denn der Vampir hat kein eigenes Geschlecht und keine eigene Identität. Er hat und ist Teil eines einzigen Individuums.

Und so wird auch erklärlich, warum der Vampir in der Literatur nicht entgültig ausgerottet wird. In unzähligen Actionstories und Filmen wird ihm nachgejagt als einem verderbebbringenden Übel, das liquidiert werden muss, das aber letztendlich diesen menschlichen Exorzierungsversuchen gar nicht zum Opfer fallen kann:

„Ich bin die Wunde und das Messer!

Das Opfer und der Scherge!

Ich bin der Vampir meines eigenen Herzens...“

(Baudelaire, aus „Der Selbstdenker“)

Quelle "Psychologie Heute",  Ausgabe Januar 1978

 

Draculas Grabstätte versinkt im Meer

Dracula ertrinkt :
Der Friedhof, auf dem der Vampir (laut Roman) in einem Grab ruhte, rutscht langsam ins Meer. Grund : Die Rekordniederschläge der vergangenen Wochen haben die Steilküste von Whitby in North Yorkshire stark abbröckeln lassen. Mehrere alte Grabsteine wurden umgesetzt, weil sie sonst von der Klippe in die See gestürzt wären. Auch die Kirche ist bedroht. Im Dracula - Roman des irischen Schriftstellers Bram Stoker erleidet der Vampir vor der englischen Küste Schiffbruch und schläft einen Tag in einem Grab auf dem Friedhof von Whitby.

Quelle: Bild Zeitung vom 01.12.2000

 

Wer war der Mann mit der Maske?

[...] Der Mann in Grab 2 war mit einer Fledermaus aus fein verarbeiteter Keramik, einem Fledermaus-Kopfschmuck aus vergoldetem Kupfer und einem Fledermaus-Nasenschmuck aus Gold bestattet. Fledermäuse hatten für die Moche große Symbolkraft. Sie erscheinen häufig in Darstellungen von Menschenopfern und rituellem Bluttrinken. Nahm dieser Mann an solchen Zeremonien teil? Seine Totenmaske mit Augen aus Muscheln und Plättchen, die den Bart darstellen, ist eine der großartigsten, die in Peru gefunden worden sind. Seine Grabbeigaben waren erheblich wertvoller als die der neben ihm bestatteten Männer: viel Keramik, goldene und silberne Nasenornamente und 18 Kopfschmuckstücke, darunter 16 in einem Stil, der an keiner anderen Moche-Stätte vorgefunden worden ist. War er ein Hohepriester, der für jede Zeremonie eine andere Kopfbedeckung trug? Auf seiner Tunika prangte eine menschliche Stofffigur mit vergoldetem Kopf, vergoldeten Händen und Füßen - ein Design, das man nur von Moche-Kriegern kennt. Sein Bestattungsbündel enthielt Kriegskeulen, Speerschleudern, Speere, goldgepanzerte Schilde. Einige Moche-Machthaber waren mit Gold- und Silberbarren in den Händen bestattet - aber dieser Mann hielt mehrere Meißel umklammert. War er ein Metallhandwerker? Der Mann unter der Maske bleibt ein Rätsel. [...]

Quelle : National Geographic Deutschland, Ausgabe März 2001