Honigblut

(Ein erotischer Vampir-Roman)

Autorin: Jennifer Schreiner

Copyright 2008 by Plaisier d'Amour Verlag, Lautertal

Erstausgabe 2008

Verlag: Plaisier d'Amour Verlag, Lautertal

ISBN 978-3-938281-42-0

Broschiert, 204 Seiten

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In einem Jahrhunderte währenden Kampf um Legenden und Leidenschaften bricht er seinen ältesten Schwur ...

Nach dem Tod der Hexe Morna wird eine schreckliche Prophezeiung Realität und bedroht die Unsterblichkeit aller Vampire. Von der Vampirkönigin ausgesandt, um der Vorhersagung Einhalt zu gebieten, gerät der Vampir-Callboy Xylos nicht nur ins Visier der um den Thron kämpfenden Rebellen, sondern wird zum Spielball eines ebenso intriganten wie mächtigen Vampirs, der Xylos eine Frau zuführt, der er nicht widerstehen kann. 


In einem Anflug aus Mitgefühl erschafft der unsterbliche Callboy mit ihr eine Vampirin, die die Grundfeste seiner lustgeprägten Existenz erschüttert, und deren Erschaffung eine Gefahr für die Vampirgesellschaft darstellt - denn zu spät begreift Xylos, dass es einen Spion in den eigenen Reihen gibt ...

Die Fortsetzung von Jennifer Schreiners Vampir-Roman "Zwillingsblut".

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Leseprobe:

Szene 1

Xylos erwachte orientierungslos und war sich nicht sicher, ob er tatsächlich wach war. Den süßen Frieden, der ihn umfangen hielt, hatte er lange verloren geglaubt. Am liebsten hätte er sich nie mehr bewegt, um den Zauber nicht zu zerstören, der auf dem flüchtigen Augenblick lag.

Er sah zur Seite auf seine bezaubernde Gespielin und hätte beinahe gelacht. Die sinnliche Verbindung, die zwischen ihnen bestand, erfüllte die Liebesspiele mit ihr mit einer Energie und Tiefe, die über das Übliche weit hinausgingen. Mit üblichen Dingen kannte er sich nur zu gut aus. Er hatte so viele Frauen gehabt, dass er aufgehört hatte zu zählen. Doch der Unterschied zu Melanie war ihm sofort bewusst geworden. Und trotz ihrer Unschuld musste sie es auch bemerkt haben.

Schlagartig verfinsterte sich sein Gesicht. Er hatte tatsächlich einfachen, normalen Sex mit ihr gehabt. Einmal war Zufall, zweimal war Pech und dreimal … 

Dreimal war einfach dämlich und zeugte von Kontrollverlust.

Sicher konnte er das erste und das dritte Mal auf das Blut schieben, doch es war eine Lüge. Er war dem Blut nicht genug erlegen gewesen, um sich gehen zu lassen. Was ist bloß los mit dir? Wo ist der Xylos, der Frauen bitten und betteln lässt, der sie abhängig macht und ihnen zeigt, wer die Kontrolle und die Macht in einer Beziehung hat?

Der Callboy kannte sich zu gut, um nicht zu akzeptieren, dass er sich niemals gänzlich von dieser magnetischen Anziehungskraft würde befreien können, dieser süchtig machenden primitiven Besitzgier, wenn er Melanie bloß ansah. Aber er würde diese Beziehung lenken!

Er beschloss, diesen Vorsatz sobald wie möglich in die Tat umzusetzen. Er würde Melanie von sich abhängig machen, sie zähmen und unterwerfen. Der Gedanke gefiel ihm, obwohl er wusste: Er würde ihr nie trauen können; so wie er keiner Frau trauen konnte. Niemals. Ohne Fesseln würde sie fortlaufen und nie zurückkommen. Schlimmer, sie würde ihn betrügen und belügen und in einen Hinterhalt locken, aus dem es kein Entrinnen mehr gab.

Das Zittern der Erinnerung trieb Xylos aus dem Bett und ans Handy. Das kurze Gespräch mit Maeve gab ihm einen neuen Rückhalt – und nachdem er von Magnus Tod berichtet hatte, eine neue Aufgabe.

Sein Blick ruhte auf Melanies Gestalt, die langsam zu erwachen schien. Er würde sie allein lassen und einsperren müssen. Aber vorher würde er ihr ihre erste Xylos-Lektion erteilen.

***
Als sie erwachte, warnte sie Xylos Lächeln. Aber die Vampirin war zu gesättigt von Blut und Sex und noch zu schläfrig, als dass sie sich wirklich hätte wehren können.

Ihre kurze Abwehr wurde von seiner Kraft überwältigt, ihre Handgelenke von seinen Händen eingefangen, und ihre Hände waren so schnell mit zwei seidigen Tüchern an die Bettpfosten gebunden, dass sie nur aufschreien konnte.

Seine Hand legte sich auf ihren Mund, und er betonte jedes einzelne Wort sehr sorgfältig. „Wenn du schreist, bin ich gezwungen, dich zu knebeln. Aber das möchte ich nicht!“

Melanie starrte ihn ungläubig an.

Doch erst als sie nickte, zog sich der Vampir zurück und verharrte reglos am Ende des Bettes. Es dauerte einen Augenblick, bis er sein wildes Verlangen wieder unter Kontrolle gebracht hatte. Was jetzt geschah, musste perfekt sein. Alles musste richtig sein. Sonst würde er sie verlieren.

Unter Xylos selbstsicherem Blick zog Melanie an den Seilen, doch die Knoten und die Tücher hielten. Knurrend zog sie vehementer.

Xylos sah zu, wie Melanie mit rein menschlicher Kraft versuchte, die Seile zu bezwingen, verriet ihr nichts von der Kraft ihres Willens und vampirischen Fähigkeiten, sondern ließ sie prüfen und kämpfen. Schließlich ließ sie sich zurücksinken und sah ihn herausfordernd an.

Innerlich frohlockte der Callboy. Der erste Schritt war getan, sie ergab sich. Nicht nur den Fesseln, sondern auch der Vorstellung, gefesselt und ausgeliefert zu sein.

In dem angespannten Schweigen zwischen ihnen war die Sinnlichkeit, die zwischen ihnen flackerte, deutlich zu spüren. Sie schien fast einen eigenen Willen zu haben, eine gefährliche, bezwingende Kraft.

„Ich will das nicht!“, behauptete Melanie und spürte ihre eigene Lüge.

Xylos schenkte ihr ein Lächeln. Er hätte die Lüge auch ohne vampirische Fähigkeiten aufgespürt. Kannte er doch die Frauen zu gründlich, um nicht von dem Kampf zu wissen, der in der Vampirin tobte. Dem Kampf gegen ihre eigenen Wünsche, gegen das Verlangen, das durch das Seine in ihr geweckt worden war.

„Bitte!“, flehte sie leise, nicht in der Lage, seinem Blick standzuhalten.

Xylos schüttelte den Kopf. Keine Gnade. Sie hatte in ihm den Wunsch geweckt, die Zeit zurückzudrehen. Wieder lebendig zu sein, voller Unschuld und Vertrauen, und jetzt musste sie den Preis bezahlen in einer Währung, die ihm gefiel.

„Ich werde dir zeigen, wie meine Welt ist, dich in ein Labyrinth der sinnlichen Freuden entführen und dich dort gefangen halten, bis Leidenschaft wie Lava durch deine Adern fließt. Bis du nass und heiß bist, und ich dich ausfüllen und in dem Feuer deines Verlangens baden kann“, versprach er. Er wusste, dass es nicht Lust war, die eine Frau an den Rand der Ekstase brachte, sondern in erster Linie das Versprechen der Lust.

Melanie war fassungslos über Xylos Versprechen, ein Bolzen purer Lust und Erregung durchfuhr sie und ungeahnte Fantasien und Wünschte regten sich so intensiv in ihr, dass sie nicht registrierte, wie der Vampir näher kam. Bis er sie küsste. Sie verging in seiner Sinnlichkeit. Sie war nackt, ihm ausgeliefert und stand in Flammen, obwohl er nichts weiter tat, als ihren Mund zu plündern.

Denn er küsste sie nicht nur, er machte Besitzrechte geltend. Er nahm ihren Mund mit einer Eindringlichkeit in Besitz, als hinge sein Leben von ihren Küssen ab.

„Ich will sehen, welche Gipfel der Lust du erklimmen kannst, wie hoch ich dich steigen lassen kann, ehe du zusammenbrichst“, hauchte Xylos gegen ihre Lippen.

Melanie versuchte einen Sinn aus seinen Worten herauszuhören, was ihr jedoch nicht gelang. Nicht, während seine Hände über ihren Körper wanderten und ihn von der seidigen Decke befreiten. So liebkosend und mit solcher Intensität, dass sie eine Gänsehaut bekam.

Der Vampir ließ seine Finger über das Gesicht seines Geschöpfs flattern, bis sie die Augen schloss und sich dem Genuss hingab, den er ihr nur zu gerne schenken wollte; ließ sie über ihren Hals gleiten, liebkosend über ihren Busen, ihren Bauch; von ihrer Hüfte in einer mäandernden Linie über ihre Wade bis hinab zu ihren Knöcheln und wieder zurück. So sanft, dass sie das Gefühl hatte zu zerbersten, als er von ihr abließ und zur Tür der Nachtkonsole griff.

Sie blinzelte, roch das Öl schon, bevor sie die Flasche in seiner Hand sah.

Ätherisch und verführerisch. Eine Mischung aus Mandelblüten und etwas Schwererem, kaum fassbar und betörender als alles, was sie je gerochen hatte. Exquisit und auf ihn zugeschnitten. Oder auf dich!

Xylos goss einige Tropfen des eigens für ihn kreierten Körperöls in seine Hand. Kein Wunder, dass dich allein ihr Geruch um den Verstand bringt!, er warf seinem Geschöpf einen lächelnden Blick zu. Ob sie so riecht, weil du sie erschaffen hast, und es dein Lieblingsgeruch ist?

Er massierte ihren rechten Fuß, ihren Knöchel und die Wade. Ein wohliges Seufzen drang über Melanies Lippen, ließ ihn wissen, dass sie entspannte und vertraute, während er die Prozedur auf ihrer linken Seite wiederholte. Erneut goss er Öl in seine Handflächen, massierte von ihrer Wade über die Knie zu ihren Schenkeln aufwärts.

Xylos träufelte ein paar Tropfen des Öls auf ihren Bauch, rieb es in kleinen Kreisen in ihre Haut und mied jede Berührung der primären und sekundären Geschlechtsorgane, obwohl ihre Brustwarzen aufgerichtet waren und empfindlich auf Berührung zu hoffen schienen. Er wandte sich ihren Armen zu und ihren Schultern. Massierte, verrieb und knetete, bis der verlockende Duft so eindringlich und betörend wie ein Aphrodisiakum in der Luft hing.

„Bitte ...“, flehte Melanie und wusste selbst nicht, um was genau sie bat.

Xylos verbarg seinen triumphierenden Gesichtsausdruck. Wenn sie wüsste, wie lange er vorhatte sie auf dem Rand der Ekstase tanzen zu lassen, würde sie schreiend protestieren. Doch nur dort ließen Frauen wirklich los; erst wenn sie jenseits aller Heuchelei und Verstellung waren, jenseits aller Zurückhaltung; dann fiel ihre äußere Maske ab, und sie hörten auf zu täuschen.

Wieder ließ er seine Hände über ihren Körper gleiten, strich über ihren Schamhügel, vergrub seine Finger kurz in ihrem Haarnest und wandte sich wieder den Innenseiten ihrer Schenkel zu.

Melanies Füße verschränkten sich, sie versuchte die Schenkel fest zusammenzupressen. Es war ihre letzte Verteidigung gegen die Lust, die bei jeder winzigen Berührung durch sie tobte. Und aus diesem Grund nahm Xylos ihr diese Möglichkeit, löste ihre Knöchel und spreizte ihre Beine, um beides zu binden.

„Nein!“, widersprach Melanie, doch Xylos legte ihr seinen Zeigefinger auf die Lippen. „Ssscht, meine Schöne! Sonst muss ich dich knebeln.“

Ihr Gesichtsausdruck zeigte das Wissen um ihre plötzliche und komplette Hilflosigkeit.

Szene 2

Das Schluchzen traf Xylos unvorbereitet und mit voller Wucht. Der Laut eines verletzten Tieres, welches seinen nahenden Tod spürte, hätte nicht erschütternder klingen können.

Der Vampir war bei Melanie, die in der hintersten Ecke des Raumes saß, noch bevor sie das Öffnen der Tür registriert hatte. Doch die fötale Haltung, in der sie sich zusammengekauert hatte, erinnerte ihn an seine Frau und ließ ihn zögern. Bilder aus seiner Vergangenheit stiegen aus seinem Unterbewusstsein nach oben, bohrten sich in die Realität und erinnerten ihn daran, welch gute Schauspielerin Helena stets gewesen war, und wie gut sie ihn mit ihren Tränen hatte manipulieren können.

„Du bist wieder da?!“ Immer noch konnte er Melanies Gesichtsausdruck nicht erkennen, hörte nur ihren ungläubigen Tonfall, bevor sie sich nach vorne warf und sich an ihm festklammerte, als wäre er das einzig Reale in dieser Welt.

Unsicher, ob es nicht besser wäre, sie in Ruhe schmollen zu lassen, legte er einen Arm um sie. Das Zittern, welches ihren ganzen Körper schüttelte, rührte an seiner Überzeugung und hielt ihm eine andere Möglichkeit vor Augen. Es könnte Wahrheit sein. Er zog sie fester in seine Umarmung, und sie schmiegte sich enger an ihn, presste ihr Gesicht an seine Schultern.

Der kurze Blick, den er dabei auf ihr Gesicht erhaschen konnte, zeigte ihm, dass sie tatsächlich weinte. Ohne jede Schönheit und ohne jede absichtliche Manipulation. Anders als Helena sah sie dabei nicht hübsch, hilflos und gewollt verletzlich aus, sondern verzweifelt. Ihre Nase war rot, ihre Augen geschwollen, und die Tränenspur schien zwei Rinnsaale in ihre Haut gegraben zu haben. Sie sah aus wie ein halb ertrunkenes Kätzchen, welches im letzten Moment gerettet worden war. Bedauernswert.

Xylos sah sich selbst, wie er dasaß, und versuchte emotionale Distanz zu wahren. Wenn die anderen dich so sehen würden, wie du eines deiner Opfer tröstest, würden sie lachen. Xylos, der mächtige Womanizer, empfindet Mitleid. Er konnte ihre Spötteleien jetzt schon in seinen Ohren hören.

Doch da war es: Mitleid. Er drehte und wendete das Wort und die damit verbundene Emotion in Gedanken hin und her. Sie schmeckte bittersüß und fühlte sich herrlich herb an. Wahr und ehrlich.

„Sie kommen nie wieder, nie wieder …“, Melanies stammelnde Stimme erstickte in ihren Tränen.

„Wer kommt nie wieder?“ Xylos strich ihr tröstend über die Haare. Eine Geste aus uralten Tagen.

Melanie reagierte nicht. Weder auf seine Frage, noch auf seine Geste. Er verschob die Frage auf später. Würde sie auf jeden Fall und unter allen Umständen im Gedächtnis behalten.

„Nie … nur Sofia …“, Melanie versteifte sich in seinen Armen. „Sofia!“ Ein tränenzerrissener Schrei.

Bei ihrem animalischen Klagelaut griff Angst auf eiskalten Klauen nach Xylos. Suizidgefährdet! Er hatte sie allein gelassen. Aber sie hat nicht lebensmüde gewirkt, als du gegangen bist! Sie hat sogar selber gesagt, dass sie leben will!

Langsam löste er seine Arme und schob sich aus der Umklammerung, um ihr Gesicht anzuheben und sie anzusehen. Innerlich verfluchte er sich, weil er bei ihrer Umwandlung in einen Vampir nicht den Mut aufgebracht hatte, ihren Geisteszustand zu überprüfen – oder ihre Vergangenheit.

Sie war nicht hysterisch, sie war zerschmettert!

Bar jeglichen Selbstwertgefühls, voller Angst und Panik. Er hatte noch nie jemanden gesehen, der so vollständig zerstört war, so voller Angst. Elementar, als ginge ein Verlust direkt durch ihre Seele und verzehrte ihre Persönlichkeit.

Melanie starrte Xylos ungläubig an, konnte nicht fassen, dass er wirklich bei ihr war. Wie in Trance sah sie, wie sich ihr rechter Arm hob, und sie die Hand nach ihm ausstreckte. Vorsichtig legte sie ihre Finger an seine Wange. Doch er war real.

„Du bist wirklich wieder da.“ Melanie ließ ihre Hand sinken.

„Wo sollte ich sonst sein?“ Xylos gab sich Mühe, ruhig und gefasst zu klingen, obwohl ein Kloß in seinem Hals saß, und er kaum sprechen konnte.

„Du bist einfach gegangen …!“ Ihre Worte kamen ohne Betonung, und doch meinte er die Anklage in ihnen zu hören, die erst in ihrem nächsten Satz kam: „Du hast mich zurückgelassen!“

Sie sah ihn direkt an, und die Anklage und die Wut waren unmissverständlich.

Also doch Absicht – nur besser gespielt! Melanie hatte nur nicht in seinem Versteck bleiben wollen, nicht allein, und hatte ihm auch nicht geglaubt, dass es zu ihrer Sicherheit war, obwohl sie die Wahrheit in seinen Worten gespürt hatte.

„Ich habe dir gesagt, es ist zu deiner Sicherheit!“ Er gab sich keine Mühe, seine Ungeduld und seinen Ärger zu verbergen.

„Du hast keinen Ton gesagt, nicht wann du zurückkommst … oder ob überhaupt …. du bist einfach gegangen …“ Melanie fing wieder an zu weinen. Xylos starrte sein Geschöpf an, während sich Erkenntnis als eisiger Kloß in seinem Verstand verdichtete.

„Großer Gott!“, murmelte er. Das habe ich wirklich, oder? Ich bin schuld! Wirklich und wahrhaftig.

Er fasste ihre Schlussfolgerung und ihre Angst zusammen: „Du hast gedacht, ich lasse dich zurück und komme nicht wieder?“

Melanie erwiderte seinen Blick, als könnte sie nicht verstehen, dass jemand zu einer anderen Schlussfolgerung ob der Situation hatte kommen können.

Und tatsächlich konnte Xylos nicht verstehen, wie sie das Schlechteste von ihm hatte annehmen können. Zu gerne wollte er wissen, woher ihre Ängste stammten. 

„Was ist los mit dir?“ Er nutzte absichtlich einen barschen Ton, um sie aus der Deckung zu locken und in ihrem Moment der Schwäche zu überrumpeln. Sicher, nur so hinter ihre Abwehr gelangen zu können.

Bei seiner abwertenden Frage zuckte Melanie zusammen, und er sah die Ablehnung in ihren Augen, glaubte sogar erkennen zu können, wie sie ihre Barrikaden um ihre Vergangenheit, den Ursprung ihrer Ängste, wieder errichtete. Er konnte zusehen, wie sich ihre Persönlichkeit langsam um sie verdichtete, als erinnerte sie sich erst jetzt daran, was und wer er war – und was er getan hatte …

„Du hast mich behandelt wie den letzten Dreck!“ Sie entwand sich seinem Griff und staunte über den gnadenlos berechnenden Blick, mit dem Xylos sie taxierte.

„Anscheinend war ich nicht der Einzige!“, versuchte er abermals sie aus der Deckung zu locken. Die Ohrfeige traf ihn, bevor er sie abwehren konnte.

Melanie starrte ihn perplex an. Selber zu überrascht von ihrem Schlag und der Wut, die er entfacht hatte. Innerlich wappnete sie sich für einen Gegenangriff.

Der kam anders als erwartet. „Aua!“, Xylos rieb sich die Wange und meinte gespielt jämmerlich: „Bei Sofia hätte die Provokation sicher funktioniert!“ Er senkte den Kopf in einer demütigen Geste und sah sie durch seine dichten Wimpern heraus an. Der Humor in seinen Augen ließ etwas von dem jungen Mann durchblitzen, der er einmal gewesen sein musste. Gut aussehend, schalkhaft und charmant.

Melanies Gesichtsausdruck veränderte sich, wurde erst ungläubig, und als sie begriff, dass er sie absichtlich geärgert hatte, schlich sich ein Lächeln auf ihr Antlitz. Dann musste sie lachen. „Ja!“, gab sie zu. „Bei Sofia hätte es ganz sicher funktioniert!“

Erleichterung flutete durch Xylos. Endlich hatte er den Schlüssel zu dieser Frau gefunden. Nicht Macht, Schönheit oder Spiele, nicht Provokation oder Wissen, sondern Humor. Doch es war nicht der schützende Zynismus, den er sonst benutzte, oder Wortspiele und schlagfertiger Witz wie bei Sofia, sondern Selbstironie und entspannter Spaß, entwaffnender Esprit, der Melanie öffnete.

Für Sekunden entglitt Xylos sein Lächeln. Er hatte lange nicht mehr gelacht oder Spaß gehabt. Ob er es überhaupt noch konnte?

Melanie sah den kurzen Anflug Melancholie in Xylos‘ Gesicht. Sofort war ihr schlechtes Gewissen wieder da. Sie stahl seine Zeit und hielt ihn an einem Ort, wo er nicht sein wollte. 

Mit sanfter Stimme erlaubte sie ihm eine Alternative, die sie während ihrer Umwandlung in einen Vampir in seiner Erinnerung gelesen hatte: „Du musst nicht bei mir bleiben und dich schuldig fühlen. Geh zu deinen hübschen Frauen, zu den sündhaft attraktiven Schönheiten, die dir sogar Geld bieten, um sich in deiner Aufmerksamkeit zu sonnen.“

Xylos blinzelte, und sein Gesichtsausdruck entglitt ihm endgültig. Anscheinend hatte sein Geschöpf mehr in ihm und seinem Blut gelesen als er in ihrem. Und nutzte nun ihr Wissen – mehr Wissen, als ihm lieb war – um ihn zu manipulieren.

„Ich bin schon bei einer schönen Frau!“ Die Wut war deutlich aus seinen Worten und seinem Ton zu hören.

„Lass das!“, winkte sie ab. „Ich weiß, dass ich nicht schön bin!“ Wahrheit. Ihre Gewissheit durchdrang jede Faser seines Körpers, mäanderte sich durch sein Gehirn, wo sich die Sicherheit um ihre Worte verdichtete, verkrampfte, und dann langsam in alle Richtungen zerfaserte, bis sie verschwunden war.

„Lügnerin!“, stieß er hervor.

Ihr Gegenüber war mit einem Mal so wütend, so aggressiv, dass Melanie schützend eine Hand hob und einen Schritt nach hinten in die Ecke machte.

Nun endlich durchschaute Xylos ihre Taktik. Sie behauptet, schwach und hilflos zu sein, sagt, sie sei nicht hübsch, nicht schön und nicht verführerisch. Verneint ihre Macht. – Nur damit der Mann sich in Sicherheit wiegt und ihr auch noch bestätigt, wie groß ihr Einfluss auf ihn ist. Bis er ihr die Macht gibt, ihn zu vernichten. – Nun, er würde ihr keine Macht geben und ihr auch nicht sagen, wie schön sie ist.

„Du weißt, dass es die Wahrheit ist“, hörte er Melanie sagen, doch ihre Worte drangen nur oberflächlich in sein Bewusstsein. Er wusste nur, dass sie schön war, unglaublich schön, und er sie haben wollte. Mit einer Intensität, die ihn erschreckte und wütend machte. 

Er spürte, wie ihm die Kontrolle über diese Zweisamkeit entglitt, und er Gefühle für sie empfand - Mitleid, Mitgefühl. Er wollte ihre Vergangenheit durchleuchten, ihr ihre Angst nehmen, ihr Freude schenken und sie zum Lachen bringen, um Teil ihrer Gegenwart und Zukunft zu werden.

All das machte ihn wütend.

Mit seiner Hand in ihrem Nacken hatte Xylos Melanie aus der Ecke gefischt wie ein Kätzchen, bevor sich die Vampirin auf Abwehr einstellen konnte, und schob sie vor sich her, bis er sie vor den großen Spiegel platziert hatte. Mit festem Griff zwang er sie dazu, geradeaus zu sehen.

„Was siehst du?“

„Mich.“

„Sehr geistreich!“, spottete er. „Und? Bist du schön?“

Melanie warf sich einen kurzen Blick zu, nur um zu sehen, ob Xylos etwas anderes sehen konnte als sie in all den Jahren zuvor. „Nein!“ Sie versuchte sich ihm zu entziehen, doch er hielt sie gnadenlos fest.

„Öffne deine Bluse!“

Melanie versuchte den Kopf zu schütteln, doch er hielt sie zu fest. Langsam, um sicher zu gehen, dass sein Geschöpf stehenblieb, löste Xylos den Griff seiner Linken von ihrer Taille und begann einen Knopf nach dem anderen zu öffnen. Ignorierte ihren vorwurfsvollen Blick, der sich an seinen Fingern festgesaugt hatte, und beobachtete ihre Reaktionen im Spiegel.

Schließlich folgte Melanie seinem Blick und sah in den Spiegel. Ihre weiße Bluse klaffte auseinander und entblößte cremige Haut, die vor wollüstiger Sinnlichkeit zu prickeln schien, kleine, feste Brüste mit aufgerichteten, leicht nach oben stehenden Brustwarzen, die der Schwerkraft trotzten, und die sanfte Wölbung ihres Bauches.

Melanie beobachtete, wie sich Xylos Züge veränderten und sich seine Augen vor Verlangen und Leidenschaft verschleierten, und fragte sich nach dem Grund.

„Bist du schön?“ Seine Stimme war Grausamkeit pur.

„Nein!“ Melanie versuchte ihren Blick von dem Spiegelbild abzuwenden, doch es gelang ihr nicht.

Trotz seines Tonfalles waren seine Hände sanft, als er sie über Melanies Taille tanzen ließ, sie unter den Bund des Rockes glitten, bis er ihn schließlich nach unten strich, über ihre Oberschenkel, von denen der Rock abrutschte und nach unten fiel. Xylos hob sie leicht an und schob die Kleidung mit den Füßen weg.

Nun offenbarte ihr Spiegelbild ihren ganzen Körper. Ihre Beine, die sie viel zu dünn und zu lang fand, staksig, die unförmige Hüfte und die hässlichen Knie.

„Du bist schön!“, stellte er fest.

Melanie blickte überrascht von ihren Füßen auf und in sein Gesicht. Doch sie fand dort weder Hohn noch Spott, keine Grausamkeit, nur Anbetung und stille Wut auf sich selbst.

„Nein!“, widersprach sie leise.

Xylos sah sie finster an. Ein düsterer Engel, voller Argwohn und Missbilligung. Er schob sie näher an den Spiegel als könne sie dann etwas sehen, was ihr bisher verborgen blieb.

„Ist Sofia schön?“, erkundigte sich Xylos. Seine Frage klang sanfter.

„Ja!“ Melanies Antwort kam ohne Überlegung.

„Ihr seid Zwillinge!“, erinnerte er sie. Triumph schwang in seinen Worten mit.

„Vielleicht sehe ich mehr als nur die Oberfläche!“, meinte Melanie leise, konnte jedoch die simple Tatsache, die er vor ihr ausgebreitet hatte, nicht leugnen.

Der Druck seiner Hände verstärkte sich um ihr Genick und ihre Taille, tat ihr weh. Sehr. Xylos schien es nicht einmal zu bemerken. Er sah an ihrem Spiegelbild vorbei, als habe ihm ihre Bemerkung den Blick in eine andere Realität ermöglicht.

Schließlich löste der Callboy seinen Griff und hob Melanies Kinn an, indem er sanft mit dem Zeigefinger nachhalf. Sie warf ihm über die Spiegelung hinweg einen zweifelnden Blick zu.

„Ich habe in all den Jahrhunderten gesehen, wie sich das Schönheitsideal verändert hat. Große Brüste, kleine Brüste, breite Hüften, schmale Hüften, rundliche Frauen, dünne Frauen, Dunkelhaarige, Brünette, Rothaarige und Blondinen. Aber sei dir gewiss: Hier und heute bist du schön. Und ich hätte dich in allen Jahrhunderten ebenso begehrt wie jetzt.“

Er ließ seinen hungrigen Blick über ihren Körper gleiten, über den Ansatz ihres Halses, die Schwellungen ihrer Brüste. Melanies Brustwarzen zogen sich unter der eindringlichen Musterung prompt zusammen und reckten sich weiter in die Höhe. Xylos Lippen verzogen sich zu einem leichten, nur allzu wissenden Lächeln, dann setzte er seine genüssliche Musterung ihres Körpers fort, betrachtete ihren straffen Bauch und hielt schließlich bei den hellen Löckchen zwischen ihren Schenkeln inne.

Die sinnliche Hitze seines Blickes ließ einen Schauder der Erregung über Melanies Körper huschen. Und beinahe kam sie sich genauso schön vor, wie es sein Blick behauptete. Wahrscheinlich hat sich das Leben nur eine weitere Grausamkeit für dich ausgedacht.