Lord Argen ap Bedwyr

Teil 3

(Copyright by Heshthot Sordul)


Argen kam nicht umhin, sich selbst einzugestehen, daß ihm die Argumente seines Gegenübers durchaus einleuchtend erschienen. Selbst der dümmste Gesetzlose hätte nicht so gehandelt, wie dieser Yaren, wenn er es auf seine Ausrüstung und auf sein Leben abgesehen hätte. Und außerdem wäre wahrscheinlich spätestens jetzt, wo seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf Yaren gerichtet war, ein Angriff in seinem Rücken die vernünftigste Strategie gewesen. Solch ein Angriff erfolgte jedoch nicht und so entschloß Argen sich, sein Mißtrauen zumindest vorerst zurückzustellen. Er ließ den Schwertknauf los und nahm sich mit beiden Händen den schweren Helm ab, ließ aber die Kettenhaube, die er darunter trug an ihrem Platz. Es tat gut, den leichten kühlen Windzug auf dem verschwitzten Gesicht zu spüren. Er klemmte den Helm unter den linken Arm, um seinen Schwertarm nicht zu behindern und stellte sich nun seinerseits vor. Dabei konnte er es nicht verhindern, daß er seinen Blick immer wieder zum Himmel schweifen ließ, was Yaren nicht verborgen blieb. „Sagt Lord Argen, sollte es im Bereich des Möglichen liegen, daß auch Ihr nach jenem Drachen Ausschau haltet?“

Argen hatte dem jungen Mann zwar seinen Namen, nicht aber den Grund seines Aufenthaltes hier verraten. Argen überlegte kurz und beschloß dann, diesen Grund preiszugeben. Denn so wie ihn gerade noch diese panische Angst überfallen hatte, empfand er nun eine unerklärliche Sympathie für Yaren und es kam ihm gar nicht mehr in den Sinn, ihm zu mißtrauen. So erzählte er ihm, ohne daß er es eigentlich vorgehabt hatte, alles über sein finanzielles Problem und dessen angestrebter Lösung. Daß auch er das Drachenzeichen entdeckt und sich darum auf den Weg gemacht hatte, um diesen Drachen zu finden und zu töten. Selbst von dem Kampf des vorangegangenen Tages erzählte der alte Kämpe und als er schloß kam es ihm so vor, als würde er seinen Zuhörer schon seit Jahren kennen, obwohl er eigentlich doch nur dessen Namen kannte. Yaren hatte dem alten Ritter aufmerksam zugehört, ohne ihn zu unterbrechen. Nachdem Argen fertig war, schien Yaren einen Moment zu überlegen. Dann sagte er: „Euer Motiv kann ich verstehen, Lord Argen, nur will es mir nicht einleuchten, daß Ihr, ein Ritter des Rates tatsächlich einen Raubmord begehen wollt, nur um Eure persönliche Situation zu verbessern. Widerspricht das nicht Eurem Ehrenkodex?“

Argen sprang auf, denn sie hatten sich auf den Felsen gesetzt, als er begann zu erzählen. „Wollt Ihr mich beleidigen? Nie käme es mir in den Sinn meine Probleme durch eine solche Tat zu lösen!“

Seine Augen blickten zornig auf Yaren. Dieser blieb sitzen und wirkte weiterhin so gelassen, als wäre er gerade von dem Ritter zum Abendschmaus eingeladen worden.

„Nun wenn ich es recht verstanden habe, wollt Ihr einen Drachen, der Euch und den Euren niemals irgendwelchen Schaden zugefügt hat, erschlagen. Dann wollt Ihr dem Drachen seinen Kristall aus der Brust schneiden, so wie die Leichenfledderer es mit den Goldzähnen der in der Schlacht gefallenen Krieger tun. Und diesen so erworbenen Kristall wollt Ihr dann in Betestá an die Riege der Lichtmagier verkaufen, um mit diesem Blutgeld dann Eurer Abgabepflicht gegenüber dem Herzog nachkommen zu können. Nun verzeiht Herr Lord, bei allem Respekt, wonach hört sich das denn für Euch an?“

Argens Gesicht färbte sich rot und auf seiner Stirn erschien eine dicke pochende Ader. Wieder war seine Hand an den Schwertgriff gefahren. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Noch niemals hatte es wer gewagt, so mit ihm zu reden. Die Sympathie, die er gerade noch für Yaren empfunden hatte, verwandelte sich in Zorn auf diesen unverschämten jungen Burschen. Leichenfledderei war ein verabscheuungswürdiges Vergehen und wurde mit dem Tode bestraft. Was dieser Grünschnabel ihm da vorwarf war einfach ungeheuerlich. Solch eine Schmähung konnte er nicht ungestraft hinnehmen. Und das Schlimmste war, daß dieser ungehobelte Kerl weiterhin lächelnd auf dem Felsen saß und mit seinen Beleidigungen fortfuhr, gerade so, als stünde kein erboster Ritter mit der Hand am Schwert vor ihm.

„Nun Herr Ritter, ich denke Ihr werdet nicht umhin kommen, mir in dieser Angelegenheit zuzustimmen. Ich...“

Argens Stimme überschlug sich fast vor Wut, als er Yaren ins Wort fiel.

„Schweige augenblicklich still, unverschämter Bursche. Ich sollte Dich, ob Deiner Schmähungen sogleich niederstrecken. Niemand redet so mit einem Lord ap Bedwyr, hörst Du?! Niemand!! Los steh auf und verteidige Dich. Diese Beleidigungen können nur mit Blut abgewaschen werden, elender Verleumder!“

Jetzt verschwand das Lächeln aus Yarens Gesicht, er machte allerdings keine Anstalten der Aufforderung nachzukommen. Stattdessen blickte er dem Ritter fest in die Augen und fuhr fort: „Nichts läge mir ferner, als Euch beleidigen zu wollen Lord Argen, bitte beruhigt Euch doch. Ich kann Eure Motive sehr gut nachvollziehen. Allerdings ist es mir unmöglich sie gutzuheißen! Tatsache ist und bleibt doch wohl, daß Ihr den Drachen töten und sein Kristall an Euch nehmen wollt. Tötet mich, wenn dies nicht Eure Worte waren.“

Argen starrte Yaren an. Natürlich wollte er den Drachen töten. Dieses Untier zu beseitigen war eine Ehre und kein Mord. Was schwafelte Yaren da bloß. Jetzt da er über Yarens Worte nachdachte, verrauchte ein Großteil seines Zorns ebenso schnell, wie er in ihm erwachsen war. Er war ehrlich genug, sich einzugestehen, daß der Standpunkt des anderen etwas für sich hatte, auch wenn er selber völlig anderer Meinung war. Aber er konnte nachempfinden, was Yaren meinte, obgleich er damit völlig falsch lag. Das aber wiederum war keine Beleidigung seitens Yaren. Lord Argen war ungestüm und aufbrausend, aber nicht ungerecht. So ließ er den Griff des Schwertes abermals los und erwiderte knurrend:

„Ihr vergleicht also tatsächlich den Sieg über ein solches Monster mit Mord und das Erlangen eines Drachenkristalles mit Leichenfledderei? Ihr irrt Euch mein Junge, es ist eine heroische Tat solch ein Untier unschädlich zu machen und der Drachenkristall ist eine dem Sieger durchaus ziemliche Trophäe. Und wenn ich diese Trophäe zum Wohle aller dem Orden der Lichtmagier übergebe, ist es nur recht und billig, daß diese mich für dieses überaus wertvolle Artefakt bezahlen. Darin vermag ich kein Unrecht zu erkennen. Tatsächlich ist es ein Gefallen, dem ich den vereinten Ländern Dczardás erweise, wenn ich sie aus solcher Gefahr errette. Was also ist daran verwerflich?“

Yaren schüttelte den Kopf. „Wieso redet Ihr von einer Gefahr? Kein Drache hat jemals für irgend einen braven Mann eine Gefahr dargestellt. Warum also sollte es eine Ehre sein, ihn umzubringen?“

Jetzt lachte Argen kurz auf. „Ich dachte, Ihr hättet Euch mit der Geschichte der Drachen beschäftigt Yaren. Wenn dem so war, müßtet Ihr doch wissen, daß unzählige tapfere gute Männer durch Drachen getötet wurden. Daß ganze Landstriche vor Urzeiten durch Drachenfeuer vernichtet wurden. Daß blutjunge unschuldige Jungfrauen den Drachen geopfert wurden, damit diese die Bevölkerung im Gegenzug in Frieden leben ließen. Und Ihr versucht mir weis zu machen, Drachen würden keine Gefahr darstellen. Seid gescheit und denkt nach, jetzt bitte ich Euch.“

Jetzt stand Yaren auf und trat auf den Lord zu. Seine langen braunen Haare fielen ihm bis weit auf den Rücken und Argen stellte fest, daß Yaren bestimmt einen Kopf größer war, als er selber. Und noch niemand hatte behauptet, Lord Argen ap Bedwyr sei von kleiner Statue. Yaren war wirklich ein außergewöhnlich hochgewachsener Mann und Argen hörte, wie sich die Metallplatten, welche an Yarens Wams und Stiefel angebracht waren leise gegeneinander schabten, als er auf ihn zukam. Gerade als Argen unwillkürlich einen Schritt zurück machen wollte, blieb der junge Mann vor ihm stehen und blickte ihn mit seinen grünen Augen durchdringend an. „Ich kann nicht sagen woher Ihr Eure Informationen habt Lord Argen ap Bedwyr, aber seid versichert, daß noch kein Drache, der auf Dczardá gelebt hat oder noch lebt, jemals etwas vergleichbares getan hat. Die tapferen Männer von denen Ihr spracht, kamen bei dem Versuch ums Leben, Drachen welche diesen Männern nie Übles zufügten, zu töten, so wie Ihr es nun vorhabt. Ich würde das als Notwehr betrachten. Wenn Ihr verbrannte Ländereien erwähnt, muß ich Euch allerdings Recht geben. Nur handelte es sich bei diesen Ländereien in der Tat um Brachland, welches die Drachen mit Ihrem Feuer, wie Ihr es nennt rodeten, um daraus Ackerland und Nutzflächen zu schaffen. Dieses geschah auf Bitten der Alben und es handelte sich um eine Gefälligkeit der Drachen und nicht, wie es viele Generationen später von den Menschen behauptet wurde, um böswillige Verwüstung. Und auch ist es vollkommen korrekt, wenn Ihr sagt, daß die Drachen Jungfrauen erhielten. Falsch hingegen ist allerdings, daß es sich um Opfer gehandelt hat. Vielmehr gingen diese jungen Frauen völlig freiwillig zu den Drachen, denn sie wurden ihre Gemahlinnen. Und es war für jedes dieser Mädchen eine unvorstellbare Ehre, wenn ein Drache sie freien wollte. Auch daraus machte die Geschichte im Nachhinein etwas ganz anderes und verdrehte die Tatsachen oder glaubt Ihr allen Ernstes Lord Argen, daß es noch ein lebendes Wesen in dieser Welt geben würde, wenn es die Drachen nicht gewollt hätten. Glaubt Ihr ernsthaft irgendeine Armee hätte es geschafft, einen Vernichtungskrieg gegen alle Drachen zu gewinnen? Die Schriften aus denen Ihr Euer Wissen gewonnen habt, erscheinen Euch uralt, aber für die Drachen ist es so, als wären sie erst gestern geschrieben worden. Die Menschen sind die jüngste Rasse Dczardás, die Drachen hingegen die älteste. Lange Zeit nach den Drachen erschienen die Alben, dann die Zwerge und dann die anderen Rassen. Ihr kamt als letzte. Wie klein ist doch euer Wissen über diese Wesen und wie gering euer logischer Verstand, wenn ihr das, was in den alten Schriftrollen steht, tatsächlich so interpretiert, wie ihr es augenblicklich tut. Denkt über diese Worte nach Lord Argen ap Bedwyr und bedenkt, welche Folgen es für Euch haben wird, wenn Ihr tatsächlich auf Eurem Vorhaben bestehen solltet. Ich gebe Euch den guten Rat, laßt ab von Eurem Tun, nichts Gutes kann daraus für Euch erwachsen.“

Argen stand sprachlos vor dem jungen Mann und versuchte über das soeben Gehörte objektiv und ohne Vorbehalte nachzudenken. Es kam ihm aber immer wieder nur ein faßbarer Gedanke: „Woher nehmt Ihr nur diese Kenntnisse? Ich habe die meisten der vorhandenen Schriften zu dieser Thematik gelesen, doch fand ich nirgends Anhaltspunkte, die Eure Behauptungen bestätigen würden. Außerdem seid Ihr doch viel zu...!“

„Jung?“, unterbrach Yaren den Lord? Er lachte leise. „Daran vermögt Ihr zu erkennen, Herr Ritter, wie sehr Eure Meinung und Eure Gedanken von Äußerlichkeiten beeinträchtigt werden. Anstatt über die Logik nachzudenken, der meine Ausführungen unterliegt und die doch wohl einleuchtend ist, zerbrecht Ihr Euch den Kopf über mein Alter. Seid nicht auch Ihr noch in der Lage, Euch gegen drei Wegelagerer im besten Mannesalter zu behaupten? Kaum ein Mensch Eures Alters wäre dazu noch in der Lage und doch habe ich nicht einen Herzschlag lang an dem gezweifelt, was Ihr mir über den gestrigen Kampf erzählt habt. Ihr aber zweifelt meine Worte lediglich aufgrund meines Alters an ohne über den Inhalt dieser Worte nachzudenken.“

Argen fühlte sich immer unbehaglicher in seiner Haut. Egal was er sagte, dieser junge Spund hatte eine passende Antwort bereit. Der Lord war es einfach nicht gewohnt solch Zwiegespräche zu führen. Seine Denkweise war einfacher. Für ihn hatte es immer nur Vorgesetzte und Untergebene gegeben. Personen deren Wort für ihn bindend waren und Personen, die ihm zum Gehorsam verpflichtet waren. Selbst Irisa gab ihm selten Widerworte und wenn dann betraf das Dinge der Haushaltsführung und der häuslichen Erziehung Bracks und Aldwulfs. Dinge also, die in der Verantwortung der Burgherrin lagen und mit denen er sich nicht weiter abgab. Aus diesem Grund akzeptierte er diese Einwände seiner Gattin auch zumeist. Nur Reuben hatte die schlechte Angewohnheit immer wieder mit ihm zu diskutieren und seine Entscheidungen in Frage zu stellen. Eigentlich unziemlich für einen Knappen. Aber Argen gestand sich ein, daß er diese Streitgespräche mit Reuben meistens genossen hatte. Allerdings ging es da nie um Dinge der grundsätzlichen Moral oder Ethik. Meistens handelte es sich darum, daß Reuben es partout nicht einsehen wollte, die Rüstung seines Ritters jeden Abend blank zu wienern oder sein Schwert, welches er tagsüber gar nicht benutzt hatte, abends zu schärfen. Es war für sie wie ein Spiel, denn als der Streit am Ende war, blitzte und glänzte Argens Rüstung, welche Reuben während des Wortwechsels kräftig polierte, bereits. Wäre doch Reuben jetzt hier bei ihm. Seinem findigen Kopf wäre bestimmt eine Antwort auf Yarens Vorhaltungen und Argumente eingefallen. Er selber war kurz davor aufzugeben. Aber konnte er denn gegenüber einem dahergelaufenen Jüngling klein beigeben, egal wie stichhaltig sich dessen Argumente zugegebener Weise anhörten? Durfte er es sich erlauben, derart sein Gesicht zu verlieren? Nein, nein und abermals nein. Zumal hatte er keine andere Wahl. Zu viel stand für seine Familie auf dem Spiel. Und wenn er mit einer Armee zurückkommen mußte, um den Drachen zu überwältigen, er brauchte diesen verfluchten Drachenkristall, komme was da wolle! Aber Yaren schien sehr viel über Drachen zu wissen, wenn er sich auch nicht vorstellen konnte, woher er dieses Wissen haben könnte. Aber vielleicht waren seine Vorfahren ja so eine Art Drachenforscher und er verfügte jetzt über das Wissen seiner Väter. Das würde einiges erklären. Natürlich – nur so konnte es sein. Und wenn er all dies über Drachen wußte, kannte er vielleicht ja auch deren Schwachstelle. Argen müßte es nur geschickt anfangen, diese aus ihm herauszubekommen, denn freiwillig würde Yaren ihm eine solche wohl kaum mitteilen, denn er schien viel für dieses Drachengezücht übrig zu haben. Der Ritter bekam bereits Kopfschmerzen vom langen Nachdenken, denn das war eine Tätigkeit an die er in diesem Umfang nicht gewöhnt war. Wie sollte er es nur anfangen? Er entschied sich zu improvisieren. Im Laufe des Gespräches würde ihm schon ein Weg einfallen. So fuhr er fort: „Wenn alles tatsächlich so war, wie Ihr behauptet Yaren und wenn die Drachen so mächtig sind, wie ich aus Euren Worten vernehmen kann, wie kommt es dann, daß es so schwachen Menschen gelang, Drachen zu töten und ihre Kristalle an sich zu nehmen?“

Yarens Blick verdunkelte sich. „Das kann ich Euch verraten Lord Argen. Früher haben sich die Drachen nicht versteckt, wenn die Zeit des Schlafes anbrach. Während des Schlafes aber sind sie wehrlos. Und in dieser Zeit gelang es tatsächlich einigen Menschen, Drachen zu töten und in Besitz der Drachenkristalle zu kommen. Dieses geschah während des 9. Zeitalters, als es einigen auserwählten Menschen gelang, mit Hilfe der Alben die magische Energie des Kapons zu nutzen. Während die Drachenschlächter die Kristalle nur begehrten, weil sie diese lediglich für Edelsteine hielten, fanden diejenigen Menschen, welche die Energien des Kapons verstanden, heraus, daß die Drachenkristalle diese Energie konzentrierte und ihre Macht verstärkte. So wurden die Kristalle noch begehrter und wertvoller. Als die Drachen von den Morden an ihren Verwandten hörten, zogen sie sich zurück und begannen, sich zu verbergen, wenn die Zeit des Schlafes gekommen war. Wären sie solche bösartigen Kreaturen gewesen, wie es in den Schriften zu lesen ist, hätten sie anders reagiert. Wie würdet Ihr handeln, edler Ritter, wenn man Eure Verwandten derart im Schlaf meucheln würde? Wäre es nicht Euer vordringlichstes Gebot, diese Morde zu sühnen und die Verantwortlichen zur Verantwortung zu ziehen? Würdet Ihr nicht alles daran setzen, diese Mörder zu finden, um Rache für die abscheulichen Verbrechen zu üben? Nicht so die Drachen. Enttäuscht von der moralischen Schwäche der Menschen zogen sie sich aus deren Leben zurück und verbargen sich. Kein Drache rächte sich an der Menschheit, Lord Argen ap Bedwyr, nicht einer! Sie ließen nicht eine ganze Rasse für die Verbrechen einiger Weniger büßen, sonder brachen lediglich den Kontakt zu dieser Rasse ab, um abzuwarten, bis diese Rasse eine bessere Moral gelernt hatte. Dann erst werden sie vielleicht zurückkehren. Nun sagt Herr Ritter, hört sich das wirklich so abgrundtief böse an?“

Argen hatte sich während Yaren sprach wieder auf den Felsen gesetzt und stützte seinen Kopf die Ellenbogen auf den Knien mit seinen Händen. Je mehr Yaren sagte, desto mehr überzeugte er den alten Lord. Doch Argen wollte nicht überzeugt werden, er wollte einen Drachenkristall. Er mußte ihn haben. Warum nur verteidigte Yaren die Drachen derart vehement? Welche Beweggründe konnte ein junger Mann haben, sich derart als Verteidiger der Riesenechsen einzusetzen? Argen blickte auf. Yaren war vor ihm in die Hocke gegangen und blickte ihn erwartungsvoll an. Argen räusperte sich und weil ihm nichts anderes einfiel, fuhr er mit einer weiteren Vorhaltung gegen die Drachen fort. „Wenn Drachen doch so menschenfreundlich sind, wie Ihr sagt, warum halfen sie uns nicht in all den Kriegen, die wir gegen die Unholde führen mußten, um unsere Freiheit zurück zu erlangen und zu behalten? Sieben Zeitalter waren durchzogen von den grausamsten Kriegen. Warum erfuhr uns niemals eine Unterstützung seitens der Drachen?“

Abermals schüttelte Yaren leicht den Kopf. „Haben die Drachen denn auf Seiten der Mandibel und Unholde gekämpft. Haben sie den dunklen Lord Anthar gegen Euch und die vereinten Länder Dczardás unterstützt?“

„Nein, verdammt!“, Argen sprang wieder auf und blickte auf Yaren hinab, „Das haben sie nicht. Aber sie hätten auf der Seite der Guten kämpfen sollen, wenn es doch solche edlen Geschöpfe sind. Wieviel unnützes Blutvergießen wäre dadurch verhindert worden? Aber sie taten nichts, Eure edlen Drachen!“

Auch Yaren hatte sich nun wieder erhoben und blickte den alten Ritter mitleidig an. „Wer ist gut und wer ist böse? Wer erschuf denn die Unholde, wenn nicht die Menschen in ihrer dilettantischen Art und Weise mit dem Kapon herum zu experimentieren?! Halfen die Menschen den Alben, als sie gegen die Unholde kämpfen mußten? Verhinderten die Menschen die Unterwerfung der Mandibel durch die Unholde? Nein! Und das, obgleich sie es doch waren, welche die Unholde erschufen. Sie taten nichts, bis sie selber angegriffen wurden. Welche Veranlassung hätten denn die Drachen haben sollen, in die Kämpfe einzugreifen? Warum hätten sie den Schöpfern im Kampf gegen ihre Kreaturen unterstützen sollen, wo doch die Schöpfer es nicht für nötig gehalten hatten, den anderen Rassen im Kampf gegen ihre Schöpfung zu unterstützen. Außerdem vergeßt Ihr, daß es ja die Menschen waren, welche am heimtückischen Tot einiger Drachen verantwortlich zeichneten. Warum also hätten sie dem einen oder anderen helfen sollen? Sie haben sich ja auch nicht während der Landkriege im 7. Zeitalter für eine Partei eingesetzt. Sie ergriffen weder für die Alben, noch für die Zwerge, noch für die Mandibel, noch für die Menschen Partei, sondern beobachteten die Rassen verwundert. Sie verstanden nicht, warum sich die Völker gegeneinander wendeten, nur um ihre Territorien abzugrenzen, wo doch auf Dczardá genügend Platz für alle war. Erst als dann das 8. Zeitalter hereinbrach und wieder Frieden herrschte, gaben die Drachen ihre Zurückhaltung auf, was dazu führte, daß ein Zeitalter später die Morde an ihnen begannen. Nenne mir einen Grund, warum sie sich in all eure Zwistigkeiten hätten einmischen sollen. Und verrate mir, wie sie hätten entscheiden sollen, welche Rasse sich im Recht und welche sich im Unrecht befand. Mischt Ihr Euch ein, wenn ein Ameisenvolk einen Termitenhügel angreift? Nein – Ihr würdet es allenfalls interessiert beobachten. Und das obgleich es abertausende Opfer während dieses Kampfes gibt. Wer sind die Guten und wer die Bösen? Warum greifen die Ameisen den Termitenhaufen an? Gehörte das Territorium vielleicht vorher ihnen oder sind sie nur bösartige Aggressoren, welche den friedlichen Termitenstaat bösartig überfallen? Euch, Herr Ritter, wäre das doch völlig egal und irgendwann würdet Ihr Euren Weg fortsetzen, weil Euch dieser Kampf zu langweilen beginnt. Wieso hätten also die Drachen in Eure für sie belanglosen Kämpfe eingreifen sollen?“

Wieder kam Argen nicht umhin, sich den Wahrheitsgehalt von Yarens Ausführung eingestehen zu müssen. Und in der Tat hatten er und Reuben während einer Strafexpedition gegen aufrührerische Nomaden einmal solch einen Kampf beobachtet, um dann ihr Wasser gegen den Termitenbau abzuschlagen, was zweifelsohne Tausende Insekten, Termiten wie Ameisen, ertränkt hatte. Keiner von Beiden verspürte dabei ein Schuldgefühl oder hatte anschließend ein schlechtes Gewissen. Nein, sie vergaßen diesen Vorfall, kaum daß sie wieder auf ihren Pferden saßen. Aber die Menschen mit Insekten zu vergleichen ging zu weit und so antwortete er: „Bei den Göttern Mann, wenn diese Drachenbrut keinen Unterschied zwischen Menschen und Insekten macht, verdienen sie es doch nicht anders.“
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, bedauerte er sie, denn es war ihm bewußt, daß er ungerecht wurde. Aber wenn er sich von Yaren überzeugen ließ, hieße das, daß er sein Vorhaben aufgeben müßte und das konnte er nicht.

(Weiter zu Teil 4)