Carmilla XI: Der Bericht

"Von Herzen gern", sagte der General, aber man sah ihm an, daß es ihn Überwindung kostete. Nach kurzem Nachdenken begann er mit seiner Geschichte, einer der merkwürdigsten, die ich je gehört habe.

"Mein Kind freute sich sehr auf den Besuch bei Ihnen und besonders auf die Begegnung mit Ihrer reizenden Tochter." Er verbeugte sich galant, aber mit melancholischem Blick. "Inzwischen hatte ein alter Freund von mir, Graf Carlsfeld, dessen Schloß knapp zwanzig Meilen von Karnstein entfernt liegt, uns zu den Festlichkeiten eingeladen, die er zu Ehren seines illustren Gastes, des Großherzogs Karl, veranstaltete. Sie haben sicher davon gehört."

"Ja. Sie sollen sehr glanzvoll gewesen sein."

"Fürstlich! Aber das sind Carlsfelds Gesellschaften immer. Er scheint Aladins Wunderlampe zu besitzen. An dem Abend, an dem mein ganzes Elend begann, fand ein prächtiger Maskenball statt. Die Gartenanlagen standen den Gästen offen, an den Bäumen hingen bunte Laternen. Man brannte ein Feuerwerk ab, wie man es selbst in Paris nicht schöner erleben kann. Und die Musik - ich habe immer eine Schwäche für Musik gehabt - diese hinreißende Musik! Das vielleicht beste Orchester der Welt und die berühmtesten Sänger aus den großen Opernhäusern Europas! Während man in den phantastisch illuminierten Anlagen promenierte, vor sich das im Mondlicht schimmernde Schloß, aus dessen langen Fensterreihen warmer Kerzenschein drang, hörte man plötzlich diese berückenden Stimmen unter einer der stillen Baumgruppen oder in den Booten auf dem See aufklingen. Ich fühlte mich in meine Kindheit mit all ihrer Poesie und Romantik zurückversetzt.

Nach dem Feuerwerk kehrten wir in die prächtigen Säle zurück, und nun begann der Ball. Sie wissen ja, ein Maskenball ist immer ein herrlicher Anblick, dieser aber war ein Schauspiel, wie ich es glanzvoller nie erlebt habe.

Die Träger klingender Namen hatten sich hier versammelt. Ich war so ungefähr der einzige 'Niemand' in diesem Kreis.

Meine Tochter sah wunderschön aus. Sie trug keine Maske. Die freudige Erregung verlieh ihren Zügen einen unbeschreiblichen Reiz. Mir fiel auf, daß eine junge Dame, die prächtig gekleidet war und eine Maske trug, mein Mündel höchst interessiert zu beobachten schien. Ich hatte schon früher am Abend in der Halle bemerkt und danach auf der Terrasse, wo sie ein paar Minuten lang in unserer Nähe auf und ab gegangen war und zu uns herübergesehen hatte. Sie wurde von einer Dame begleitet, die ein kostbares dunkles Gewand und ebenfalls eine Maske trug und deren vornehme Erscheinung auf eine Persönlichkeit von Rang und Namen schließen ließ. Da die Maske das Gesicht der jungen Dame verbarg, konnte ich natürlich nicht genau feststellen, ob diese tatsächlich meinen armen Liebling beobachtete. Heute bin ich dessen sicher.

Wir befanden uns jetzt in einem der Salons. Meine Tochter ruhte sich gerade auf einem nahe der Tür stehenden Stuhl ein wenig vom Tanzen aus. Ich stand neben ihr. Jene beiden Damen hatten sich uns genähert, die jüngere setzte sich neben mein Mündel, ihre Begleiterin blieb an meiner Seite stehen und sprach einen Augenblick lang mit leiser Stimme auf ihren Schützling ein.

Dann nutzte sie die Maskenfreiheit aus, sprach mich an, nannte mich beim Namen und begann, als seien wir alte Bekannte, ein Gespräch, das meine Neugier erregte. Sie bezog sich auf zahlreiche frühere Begegnungen mit mir, bei Hofe und in den Häusern vornehmer Familien. Sie erwähnte belanglose Vorfälle, die ich längst vergessen hatte, deren ich mich aber, sobald sie darauf zu sprechen kam, wieder lebhaft erinnerte.

Ich wurde immer neugieriger zu erfahren, wen ich vor mir hatte. Doch sie wich meinen versteckten Fragen geschickt und freundlich aus. Es war mir völlig unerklärlich, wie sie über so viele Einzelheiten aus meinem Leben Bescheid wissen konnte. Sie schien es ganz unverhohlen zu genießen, meine Neugier anzustacheln und zu beobachten, wie ich in immer tiefere Verwirrung geriet.

Die junge Dame, die von ihrer Mutter ein paarmal mit dem eigenartigen Namen 'Millarca' angeredet worden war, hatte inzwischen auf ähnlich ungezwungene und charmante Weise ein Gespräch mit meinem Mündel angeknüpft.

Sie hatte es mit der Bemerkung eingeleitet, ihre Mutter sei eine alte Bekannte von mir. Das Tragen einer Maske, sagte sie, verschaffe einem die willkommene Gelegenheit, kühner als sonst zu sein. Sie unterhielt sich mit Bertha wie mit einer alten Freundin, bewunderte ihr Kleid und gab auf charmante Art zu erkennen, daß sie von ihrer Schönheit beeindruckt war. Sie erheiterte sie mit ironischen Bemerkungen über die Gäste, die sich im Ballsaal drängten, und vermerkte lachend, wie mein armes Kind sich über ihren Kommentar amüsierte. Sie konnte, je nach Laune, sehr geistreich und lebhaft sein. Nach kurzer Zeit hatten sich die beiden angefreundet. Nun nahm die junge Dame die Maske ab, und wir erblickten ein Gesicht von großer Schönheit. Ich hatte es noch nie gesehen und auch meinem Kind war es fremd. Dieses Gesicht war nicht nur schön, es hatte auch etwas so Gewinnendes, daß man sich sofort unwiderstehlich angezogen fühlte. Meiner Tochter jedenfalls erging es so. Nie zuvor hatte ich erlebt, daß ein Mensch einem anderen auf den ersten Blick so zugetan war. Auf die Fremde traf das allerdings auch zu - sie schien ihr Herz an mein Mündel verloren zu haben.

Auch ich machte mir jetzt die bei einem Maskenfest erlaubte Freizügigkeit zu eigen und bedrängte die ältere Dame mit Fragen.

'Sie haben mich aufs höchste verblüfft', sagte ich lächelnd. 'Genügt Ihnen das noch nicht? Wollen Sie mir jetzt nicht auch eine Chance geben und die Maske abnehmen?'

'Hat man je von einem unbescheideneren Ansinnen gehört? Wie kann man von einer Dame verlangen, einen Vorteil aufzugeben? Und überhaupt - sind Sie sicher, daß Sie mich wiedererkennen würden? Schließlich gehen die Jahre nicht spurlos an uns vorüber.'

'Wie Sie an mir sehen', sagte ich mit einer Verbeugung und mit leisem, vermutlich recht melancholisch klingendem Lachen.

'Wie uns die Philosophen lehren', erwiderte sie. 'Und wie wollen Sie wissen, daß der Anblick meines Gesichts Ihnen weiterhelfen würde?'

'Ich lasse es gern darauf ankommen. Sie versuchen umsonst, sich als alte Frau auszugeben. Ihre Figur spricht dagegen.'

'Trotzdem - es ist Jahre her, seit ich Sie zuletzt gesehen habe, oder vielmehr, seit Sie mich zuletzt gesehen haben, denn darauf kommt es mir an. Millarca, das junge Mädchen dort, ist meine Tochter. Ich kann also nicht mehr jung sein, nicht einmal in den Augen derer, die gelernt haben, nachsichtig zu sein; und vielleicht möchte ich nicht, daß Sie mich mit der vergleichen, an die Sie sich erinnern. Da Sie selbst keine Maske tragen, könnten Sie sich nicht einmal bei mir revanchieren.'

'Meine Bitte um Demaskierung richtet sich ausschließlich an Ihr Mitleid.'

'Und meine Bitte, darauf zu verzichten, an das Ihre.'

'Nun gut, aber Sie könnten mir wenigstens sagen, ob sie Französin oder Deutsche sind. Sie beherrschen beide Sprachen vollkommen.'

'Ich glaube, General, auch das werde ich Ihnen nicht beantworten. Sie planen offenbar einen Überraschungsangriff und überlegen sich jetzt, von wo aus Sie am besten attackieren können.'

'Eins werden Sie jedenfalls zugeben müssen', entgegnete ich. 'Wenn Sie mir schon die Ehre erweisen, mich ins Gespräch zu ziehen, dann sollten Sie mir wenigstens sagen, wie ich Sie anzureden habe. Soll ich Sie Madame la Comtesse nennen?'

Sie lachte und wollte mich ohne Zweifel mit irgend einer neuen Ausflucht abspeisen. Aber war in dieser Unterhaltung, die wie ich jetzt weiß, bis in jede Einzelheit mit der größten Raffinesse vorausgeplant war, überhaupt etwas vom Zufall abhängig?

'Was das betrifft', begann sie - doch in diesem Augenblick wurde sie von einem schwarzgekleideten Herrn unterbrochen, der ausnehmend elegant und distinguiert wirkte, dessen Gesicht aber von einer Blässe überzogen war, wie ich sie bis dahin nur bei Toten gesehen hatte. Er trug kein Maskenkostüm, sondern den üblichen Abendanzug des vornehmen Herrn. Ohne den leisesten Anflug des Lächelns, doch mit einer höfischen, auffallend tiefen Verneigung, sagte er:

'Würden Madame la Comtesse mir ein paar Worte gestatten, die für sie von Interesse sein könnten?'

Rasch wandte sich die Dame ihm zu und legte den Finger auf die Lippen. Dann sagte sie zu mir:

'Halten Sie diesen Platz für mich frei, General! Ich werde sofort zurückkommen.'

Mit diesem lächelnd erteilten Befehl verließ sie mich, um mit dem Herrn in Schwarz ein wenig zur Seite zu treten und ein offenbar sehr ernstes Gespräch von einigen Minuten zu führen. Dann entfernten sich beide gemessenen Schrittes, und in der Menge verlor ich sie für kurze Zeit aus den Augen.

Inzwischen zermarterte ich mir das Gehirn nach dem Namen der Dame, die sich meiner so freundlich zu erinnern schien. Ich überlegte, ob ich mich in das Gespräch zwischen ihrer Tochter und meinem Mündel einschalten sollte, um die Gräfin bei ihrer Rückkehr damit überraschen zu können, daß ich über ihren Namen, Titel und Wohnsitz bestens informiert war. Doch schon erschien sie wieder, gefolgt von dem Herrn in Schwarz.

'Ich werde Madame la Comtesse melden, wenn die Kutsche vorgefahren ist', sagte er.

Dann verneigte er sich und verschwand.

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